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Ameisen als soziale Wesen in der Stadtplanung – Ein stadtpsychologischer Versuch von Addi Wala

Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen, die Städte bauen. Im folgenden Blogartikel verraten wir, was wir alles von der Natur lernen und wie soziale Insekten uns dabei helfen können, unsere Städte zukunftsfit zu gestalten. Die STADTpsychologie hat dafür einen praktischen Versuch gestartet, bei der Ameisen die Stadtentwicklung für uns übernehmen.


 

Soziale Insekten & Psychologie

Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten sind sogenannte staatenbildende und (eu)soziale Insekten. Das bedeutet, sie leben in riesigen Sozialverbänden, teilen sich Aufgaben und Ressourcen und besitzen eine Art kollektive Schwarm-Intelligenz. Sie besitzen nicht nur die Fähigkeit miteinander zu kommunizieren (die Sprache der Bienen erfolgt beispielsweise über Tanzbewegungen), aktuelle Forschungen deuten auch darauf hin, dass sie soziale Kognitionen besitzen und verschiedene Befindniszustände aufweisen können, die sogar Emotionen ähneln (Chittka & Rossi, 2022). Diese menschenähnlichen Eigenschaften machen die kleinen Tiere nicht nur für die Biologie interessant, sondern auch für die Psychologie.

Menschen mögen zwar um einiges komplexer sein als Insekten, doch auch wir müssen Wege finden, unsere Arbeit aufeinander abzustimmen und konfliktfrei auf engem Raum zusammenzuleben. Die STADTpsychologie achtet deswegen stark auf den sozialen Zusammenhalt innerhalb von Städten. Bei den vielen neuen Projekten, die nun in Richtung klimafitte und artenreiche Städte gehen, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis wir Richtung Tierreich blicken—zu den kleinen sozialen Wesen, die ihre eigenen Städte bauen.

 

Die Ameise – ein Multitalent

„Die Müllabfuhr des Waldes“ – unter dieser Bezeichnung ist die Ameise bei vielen bekannt. Die kleinen Tierchen sind jedoch zu weit mehr in der Lage. Je nach Art sind sie sogar dazu imstande, Landwirtschaft zu betreiben. Es gibt Ameisen, die Pilzgärten bewirtschaften, oder andere Arten, die Blattläuse wie Kühe hüten. Ein Ameisenstaat umfasst sowohl eine Hauptstadt, als auch deren bewirtschaftetes Umland und kleinere Zwischenstädte, die mit dem Hauptnest verbunden sind—kommt euch das bekannt vor? Auch das Innere eines Nests weist Ähnlichkeiten zu unseren Städten auf. Kammern sind über ein Netzwerk aus Gängen und Straßen miteinander verbunden. Die Funktionen dieser Kammern reicht von Lagerstädten, Mistplätzen, Friedhöfen bis hin zu Wohnblocks, in denen Nachwuchs großgezogen wird. Die Gestaltung dieser Staaten ist unglaublich effizient. Das ist mit ein Grund, warum Ameisen zu den erfolgreichsten Lebewesen der Erde gehören. Schätzungen zufolge gibt es für jeden Menschen auf der Erde über 2.5 Millionen Ameisen (Schultheiss et al., 2022).


Biomimikry in der Stadtentwicklung

Das Eastgate Center in Harare (Zimbabwe) nutzt die Nester von Termiten als Vorbild um natürliche Luftströme zu erzeugen, die das Gebäude kühlen. (Bild: ©Mick Pearce)

Sich Ideen aus der Natur abzuschauen ist oft effizienter als das Rad neu zu erfinden. Viele Tier- und Pflanzenarten haben sich über Jahrtausende entwickelt und natürliche Lösungen auf die diversen Herausforderungen des Lebens gefunden. Trotzdem werden Technik und Natur häufig als gegensätzlich betrachtet. Diese Gegenüberstellung könnte jedoch nicht ferner der Realität sein, denn es gibt kaum eine bessere Lehrmeisterin als Mutter Natur selbst. Das Feld der Bionik verbindet Biologie und Technik und löst somit technische Fragestellungen anhand Erkenntnissen aus biologischen Prinzipien und Vorbildern. Man spricht dabei auch von Biomimikry.

Manche Häuser oder Städte wurden bereits nach natürlichen Vorbildern entworfen und umgesetzt, so wie das Eastgate Center in Harare (Zimbabwe). Dieses wurde den Nestern von Termiten nachempfunden, genauer, wie diese durch natürliche Luftströme auf passive Art gekühlt werden. Das Gebäude hat somit einen extrem niedrigen Energiebedarf.

Nicht nur Gebäude werden den tierischen Ideengebern nachempfunden, sondern auch manche unserer Straßen. Vor ein paar Monaten haben wir euch einen Schleimschimmel präsentiert, der bei stadtplanerischen Projekten unterstützen kann, da er sehr begabt darin ist, effiziente Netzwerke und Verbindungen herzustellen. Wie bereits oben genannt, bauen Ameisen Routen zwischen Nestern, Kolonien und Futterstellen. Diese Ameisenstraßen sind nicht nur spannend anzusehen, sondern können uns auch dabei helfen, Herausforderungen unseres eigenen Straßennetzes zu lösen, wie beispielsweise Transport und Logistik-Aufgaben. Ameisen kennen ebenfalls Stau, Zwischenstopps und Weggabelungen. Sie sind jedoch sehr anpassungsfähig und geschickt darin, ihre Straßen zu entwerfen, weshalb Forscher*innen bereits Modelle aufgestellt haben, um Transportnetzwerke an die von Ameisen anzupassen, um Kosten und Ressourcen zu sparen (Bottinelli et al., 2015). Die klimafitte Stadt von Morgen wird die Natur also nicht nur in Form von Begrünung und Bäumen in den urbanen Raum zurückholen, sondern die Gebäude selbst werden sich an die Natur und Umwelt anpassen müssen, um den Energiebedarf möglichst gering zu halten.

 

Ameisen als Methode der Visualisierung

Dem Thema Visualisierung begegnen wir immer wieder bei unserer stadtpsychologischen Arbeit. Eine Anforderung an eine gute Visualisierung ist, dass diese nicht nur akkurate Änderungen zeigt, sondern zudem die Vorstellungskraft von Menschen fördert und gleichzeitig Spielraum für kurzfristige Anpassungen lässt. Das wirkt sich auf die Motivation aus, sich für ein Projekt zu interessieren und zu engagieren. Darum ziehen wir auch das Urban-Sketching, dem 3D-Rendering vor — und es ist mit ein Grund, warum wir immer wieder auch künstlerischen Darstellungen, wie beispielsweise Kressebeeten in Stadtplänen, nachgehen.

Ein Ameisennest in der Form von Rotterdam. Das Straßennetz wurde repliziert und dann konnte den Ameisen im Rahmen einer Ausstellung dabei zugesehen werden, wie sie die Stadt anpassen. (Foto: ©Studio 1:1)

In unserem jetzigen Ameisen-Versuch denken wir noch stärker „outside the box“ und haben Ameisen in einem Stadtplan angesiedelt. Diese begannen schnell, ihren Bezirk zu erkunden und nach ihren Bedürfnissen zu nutzen.

Das Betrachten der Ameisen, ist ähnlich der Betrachtung eines Ortes per Luftbildteppich. Bei diesem sehen Teilnehmer*innen auf einem riesigen, begehbaren Stadtplan, ihre Stadt von oben. Der dabei entstehende „Overview-Effekt“ hilft Menschen dabei sich in ihrem Grätzl zurechtfinden und sich mit der Verteilung von Flächen auseinandersetzen. Sie beginnen auch sich Gedanken über den Einfluss ihrer Umwelt zu machen. Durch die zusätzliche Aktivität und Bewegungen der Ameisen, ist es besonders für Kinder spannend, Ameisen-Städte zu beobachten. Ameisenkolonien werden deswegen bereits seit langer Zeit in Klassenzimmern genutzt, um Kindern die Natur näher zu bringen. Durch Versuche wie unsere, können Ameisen ihnen zukünftig auch das Thema „Stadt“ näherbringen.

 

Stadtpsychologischer Versuch: Ameisen in Neubau

Beim Projekt „Das Grüne Band – Artenvielfalt im Parkverbund“ soll ein Öko-Parkverbund entstehen, indem die Parks rund um die Bandgasse miteinander verbunden werden. Durch zusätzliche Begrünungen zwischen dem Andreaspark, Marianne-Fritz-Park, Dorothea-Neff-Park, bis hin zum Karl-Farkas-Park, entsteht somit ein vergrößerter Lebensraum für viele Arten. In großen Städten gibt es solche Veränderungen oft noch nicht. Wie kann man also die Menschen abholen, und ihnen die Thematik Biodiversität näherbringen. Ein Stadtplan, eine Karte auf Papier, online? Oder mit einem, von uns als Pilot-Projekt gestartetem, Ameisennest?

Auf dem Bild könnt ihr unsere neue Ameisenkolonie der „Neubauer“ sehen. Es handelt sich dabei um eine gemeine Rasenameise, eine heimische Art in der Familie der Knotenameisen. Wir haben hierzu den Straßenplan des 7. Wiener Gemeindebezirks in eine Platte geschnitzt und anschließend mit einem durchsichtigen Kunststoff überklebt. Der Eingang in das Gehege wurde passend gewählt und ist von unten heraus über die Parks des Grünen Bandes möglich.

 

Ziel des Projekts ist es zu beobachten, wie die Ameisen den Bezirk nutzen. Wo und wie bewegen sie sich? Wo halten sie sich gerne langfristig auf? Wo entsorgen sie ihre Abfälle? Verändern sie den Bezirk und bauen ihn entsprechen ihrer Bedürfnisse um? Der Versuch erfolgt somit explorativ und es gilt vorerst abzuklären, wie genau sich Ameisen nun für Fragen der lokalen Stadtentwicklung nutzen lassen. Im Vergleich zu rein biologischen Experimenten interessiert uns jedoch vor allem die menschliche Komponente. Was denke ich mir, wenn ich den Ameisen zusehe? Nutzen sie die Stadt so ähnlich wie ich dies tun würde? Kann ich etwas von ihnen lernen? Inspirieren sie mich dazu meine eigene Stadt zu erkunden? Menschen und Tiere nutzen in der Stadt oft denselben Lebensraum, es gilt also sich miteinander auseinanderzusetzen, zu reflektieren, und voneinander zu lernen.

Unsere Ameisenstadt wird noch länger vor sich hinarbeiten. Vorweg lässt sich jedoch sagen, dass die Ameisen sich derweil nicht fernab der menschlichen Realität verhalten. Sie bewegen sich hauptsächlich entlang unserer Hauptverkehrsrouten und bevorzugen große, offene Flächen. Was genau die kleinen Insekten uns über das Leben in Neubau beibringen können, wird jedoch erst die Zukunft zeigen. Vorerst müssen die Tierchen nämlich für die nächsten Monate in Winterruhe. Wir halten euch jedoch weiterhin auf dem Laufenden.

 


Weiterführende Literatur:

Wie viele Ameisen gibt es auf der Welt?:
Schultheiss et al. (2022). The abundance, biomass, and distribution of ants on Earth. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36122199/

Soziale Kognitionen von Insekten:
Chittka & Rossi (2022). Social cognition in insects. Trends in Cognitive Sciences.

Ameisen in der Logistik:
Bottinelli et al. (2015). Local cost minimization in ant transport networks.

Der Overview Effekt:
Yaden et al. (2016). The overview effect: Awe and self-transcendent experience in space flight.
Voski, A. (2020). The ecological significance of the overview effect: Environmental attitudes and behaviours in astronauts.

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