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Matzleinsdorfer Platz im Umbruch

Die STADTpsychologie beschäftigt sich mit der Wirkung von Orten auf die Wahrnehmung und das Verhalten von Menschen, insbesondere bei anstehenden Veränderungen. Ein Ort des Umbruchs ist derzeit der Matzleinsdorfer Platz. Hier befindet sich bis 2028 eine Dauerbaustelle, die den Anschluss an die U2 ermöglichen soll (Kurier, 2021). Um sein Wesen zu erkunden haben wir im Februar 2023 einen Empirischen Stadtspaziergang (ESP) durchgeführt. Unsere Eindrücke haben wir hier zusammengefasst.


Vorwissen und Forschungsinteresse

Zunächst setzen wir uns gedanklich mit dem Ort auseinander: Was wissen wir bereits und was macht diesen Ort für uns interessant? Der Matzleinsdorfer Platz ist uns als eine Haltestelle der Wiener Linien bekannt. Aktuell fahren hier verschiedene Bims, (Nacht-)Busse und S-Bahnen. Zudem fahren hier Fernbusse ab, mit denen man beispielsweise ins Burgenland gelangen kann. Mit Beendung der Umbauten wird eine neue U2-Haltestelle hinzukommen.

Die befahrene Grenze zwischen dem 10. Bezirk (links) und dem 5. Bezirk (rechts)

Wir kennen den Matzleinsdorfer Platz als wichtigen Verkehrsknotenpunkt, der von mehreren vielspurigen Straßen gekreuzt wird. Er bildet eine befahrene Grenze zwischen dem 5. und 10. Gemeindebezirk, die entlang des Wiedner Gürtel und Margaretengürtel verläuft. Je nach Blickwinkel kann der Matzleinsdorfer Platz als ein “Tor zum 10. Bezirk” oder als eine Einfahrt in die Innenstadt von Wien gesehen werden.

Für den Stadtspaziergang machen wir uns ein Bild über den Fortschritt der Umbauten. Zusätzlich möchten wir mehr über den Aufbau des Platzes wissen und ob wir Anfangs- und Endpunkte ausfindig machen können. Um das herauszufinden, erkunden wir den Matzleinsdorfer Platz zu Fuß.

Den Ort kennenlernen und systematisch erfassen

Erste Eindrücke

Bei unserer Ankunft springt uns das hohe Verkehrsaufkommen direkt ins Auge. Zum Glück- denn hier sind sofort alle Sinne gefragt. Die Straßen sind zu keinem Zeitpunkt leer; zahlreiche Autos, Busse und LKWs fahren permanent an uns vorbei oder warten an roten Ampeln. Insgesamt wirkt alles grau, zubetoniert und wenig einladend. Dieser Eindruck wird durch die winterlichen Temperaturen und den starken Wind nochmal verstärkt.

Besonderheiten und Unterschiede zu anderen Orten

Der Matzleinsdorfer Platz erscheint uns lauter, befahrener, grauer und zugebauter als viele andere Plätze in Wien.

Für uns ist das kein ästhetisch ansprechender Ort, sondern rein seine Funktionalität zeichnet ihn aus. Der tatsächliche Nutzen bezieht sich darauf, den Straßenverkehr zu leiten und als Umsteigemöglichkeit für den öffentlichen Personennahverkehr zu dienen.

Bahnhof Matzleinsdorfer Platz

Die Haltestelle wird offiziell als „Bahnhof Matzleinsdorfer Platz“ ausgeschrieben, allerdings fällt es uns schwer etwas zu finden, das wir mit einer typischen Bahnhofsatmosphäre verknüpfen. Oberhalb verlaufen zwei Gleise für S-Bahnen oder Züge, was uns eher an eine S-Bahn-Station erinnert als an einen Bahnhof, den wir mit mehr Gleisen assoziieren würden. Durch die derzeitige Baustelle fehlen Gastronomie oder Einkaufsmöglichkeiten, die häufig an starkfrequentierten Bahnhöfen zu erwarten sind. Wir erinnern uns an frühere Besuche vor dem Umbau, als es noch mindestens einen Bäcker dort gab.

Blick auf die Christuskirche im 10. Bezirk

Gründerbauten oder andere umliegende Gebäude, die wir mit dem für Wien „Typischen“ verbinden, sehen wir nicht. Wir vermuten, dass viele der Häuser in den 60er oder 70er Jahren gebaut wurden und eher funktional und wenig prunkvoll gestaltet sind. Die deutlich sichtbaren Gleise und Abstellhalden erinnern vielmehr an ein Industriegelände, als eine doch zentrale und vielfrequentierte Gegend. Nur einzelne Gebäude, wie die Christuskirche, brechen mit diesem einheitlichen Bild: schon während man unter der Brücke steht, kann man die Christuskirche hervorblitzen sehen. Auffallend hübsch und aus roten Ziegelsteinen wurde sie, im 10. Bezirk angrenzend an den Friedhof Matzleinsdorf, errichtet.

Sinneswahrnehmungen

Unter der Brücke, dem lautesten Ort am Matzleinsdorfer Platz

Das hohe Verkehrsaufkommen erzeugt pausenlos einen hohen Geräuschpegel, der teilweise die Kommunikation erschwert. Besonders deutlich zeigte sich dieser Lärm unter der Brücke: über uns fuhren S-Bahnen und Züge während wir entlang einer mehrspurig befahrenen Straße gelaufen sind. Neben dem Autolärm hören wir gelegentlich Bahndurchsagen. Gespräche zwischen Passant*innen nehmen wir selten bis gar nicht wahr.

Durch den Verkehr ist hier vieles in Bewegung, neben Scheinwerfern blitzen Ampeln auf. Neben dem Bauschutt und den Bauarbeiten sehen wir viel Müll wie alte Kaffeebecher, Essens- oder Zigarettenverpackungen. Was sich deutlich abhebt vom tristen Grau ist die viele Plakat-Werbung, die sowohl an Fußgänger*innen als auch an Autofahrer*innen gerichtet ist.

Anfangs atmen wir bewusst anders, etwas flacher, denn in der Luft müssen permanent Autoabgase liegen. Wir schaffen es, diese nach einer Weile auszublenden. Nur manchmal fährt ein besonders stark- oder übelriechendes Auto vorbei, dann sind die Abgase für einen kurzen Moment wieder präsent. Hinzukommt noch gelegentlicher Zigarettenrauch, ansonsten bekommen wir olfaktorisch kaum Eindrücke.

Was macht dieser Ort mit uns?

Der Ort löst in uns Stress und ein Gefühl der Orientierungslosigkeit aus. Man muss andauernd aufmerksam und konzentriert sein, um bei dem hohen Verkehrsaufkommen sichere Querungsmöglichkeiten zu finden. Die Wege für Fußgänger*innen sind oft unklar und erweisen sich teilweise als Sackgasse. An manchen Stellen führt der Weg direkt auf die Fahrbahn, wo wir nur noch durch eine niedrige Barrikade von den Fahrzeugen abgegrenzt sind. Solche Umstände erschweren die Fortbewegung, zu Fuß oder mit dem Rad, an und um den Matzleinsdorfer Platz, weshalb man sich hier länger als gewollt aufhält. Denn eines ist uns schnell klar, verweilen wollen wir hier nicht länger als notwendig und es scheint auch den Menschen um uns herum so zu gehen. Die Mehrheit nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel und verlässt entweder schnell die Station oder wartet auf eine Anschluss-Verbindung. Mit Ausnahme von 1-2 Personen sehen wir hier niemanden, der sich länger aufhält. Besonders auffällig ist, dass kaum jemand miteinander spricht. Die unattraktive Gestaltung und intensiven Eindrücke des Matzleinsdorfer Platzes verursachen, dass wir uns (unbewusst) zurücknehmen, vielleicht auch distanzieren, wollen – von diesem Ort und von den Eindrücken – alles ist zu viel, sogar eine Begegnung oder ein Gespräch mit anderen.

Orientierungspunkte

In Bahnhofsnähe liegen Orientierungspunkte, die für uns bedeutsam sind – manche von ihnen grenzen an den Platz an, gehören aber nicht direkt dazu. Markant sind das Café Matz und das Hotel allegro im 5. Bezirk. Auf der Seite des 10. ist neben der Christuskirche auch die Tankstelle und ein Baumarkt, die wir mit dem Matzleinsdorfer Platz verbinden. Obwohl es einige markante Anhaltspunkte gibt, fällt es uns schwer, den Matzleinsdorfer Platz als Ort festzumachen. Ein zentraler Punkt ist in jedem Fall die Bahnstation. Wie weit sich der Matzleinsdorfer Platz insgesamt erstreckt, können wir nicht genau feststellen, denn die Übergänge in die angrenzenden Bezirke sind fließend.

Änderungswünsche

Wünsche und Anregungen für Veränderungen haben wir viele, aber inwiefern diese in den nächsten Monaten und Jahren realisierbar sind, können wir nicht einschätzen. Ein intensiv genutzter Verkehrsknotenpunkt mit mehrjähriger Baustelle bleibt vermutlich ein Ort, der eher funktional und nicht zur Erholung genutzt wird. Trotzdem wünschen wir uns, den Matzleinsdorfer Platz ruhiger, von Menschen belebter und etwas grüner. Mit Lärmschutz oder Fassadenbegrünung könnte zumindest ein Teil des Verbesserungspotenzials umgesetzt werden. Begrünungsmaßnahmen würden dann auch die Luft-Qualität verbessern. Was die Mobilität betrifft, wünschen wir uns künftig mehr Querungsmöglichkeiten für Fußgänger*innen und schon jetzt eine bessere Beschilderung insbesondere, weil die Barrierefreiheit aktuell stark eingeschränkt ist (Wiener Linien, 2023).

Diagnose: grauer, lauter, Matzleinsdorf

Der Matzleinsdorfer Platz wirkt „unfertig“, was sicherlich mit den Bauarbeiten zusammenhängt, die durch Absperrungen, Umleitungen, Beschilderungen oder Bauschutt an vielen Stellen deutlich erkennbar sind. Das alles trägt dazu bei, dass man hier, zumindest mental, nicht ankommen kann. Dennoch hat der Matzleinsdorfer Platz als funktionaler Transit-Ort betrachtet in Wien eine zentrale Bedeutung. Durch die laufenden Bauarbeiten, durch die der Transit anhand der neuen U2 noch steigen soll, ist er im Vergleich zu vorher noch trister und weniger einladender geworden. Es ist uns nicht gelungen den Ort als einen „Platz“ greifbar zu erleben, wir setzen ihn eher mit der Bahnstation gleich.

Ein Besuch nach Ende der Bauarbeiten wäre sicherlich interessant für einen Abgleich, inwiefern der Ort nun einladender wirkt und ob man ihn, über die Bahnstation hinaus, doch als eigenständigen Platz wahrnehmen kann.

 Fotos: ©STADTpsychologie

Weiterführende Links:

Quellen:

 

 

One Comment

  • Mag.art Sybille Uitz

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    Wertes Stadt Forschungs Team!
    Ich habe euren super treffenden Artikel über den Empirischen Spaziergang -„Matzleinsdorferplatz“ v.13.03.2023 gelesen und kann alles bestätigen was darüber geschrieben wurde.
    Ich wohne seit 40ig Jahren im Gemeindebau Theodor Körner Hof.
    Bin dadurch bestens vertraut, mit den Zu -Umständen, was die Architektur sowie Öffis, Grünanlagen, Soziales etc… betrifft! Wir haben noch ! über 5.Jahre die Baustelle U2 ,direkt unter unseren Fenstern…ja muß gebaut werden..(eine Herausforderung für die Anrainer trotzdem, alle mal )!!
    Was nun aber abgesehen davon, mich sowie viele Anrainer – Bürger der Stadt interessiert ist,nach Beerdigung der U2/5-Bau 2028 / wer ist dann verantwortlich zuständig für eine „NEU GESTALTUNG“ der Unterführung des Matzleinsdorferplatzes !?!
    Die dortigen Busstationen befördern täglich sehr viele Menschen, welche Um-aussteigen und in diesem unfassbar grau-schwarzen, lauten, dreckigen, Haltebereich ausharren müssen damit sie von A nach B kommen.
    Der BHF oben ist fertig renoviert, (Geschäfte fehlen allerdings hat man vergessen? ) dafür steht man unten in einer dreckigen Verkehrshölle!
    Wäre sehr wünschenswert wenn ihr etwas positives in dieser Causa bewirken könnt!
    Bitte um Feedback vor allem bei Neuen Erkenntnissen!!
    Mit besten Dank im Voraus!
    Mag.art Sybille Uitz

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