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Weihnachtsmärkte – hektisch besinnlich und romantisch erdrückend


Leise rieselt der Schnee? Weihnachtsmärkte werben mit der Romantik der stillen und heiligen Nacht – doch gibt es diese überhaupt noch in Großstädten? Was für Tourist*innen oft als besinnlicher Besuch auf einem kleinen Markt gedacht ist, endet inzwischen immer öfter in einer sich dicht drängenden Menschenmasse. Dies führt nicht nur unter den Besucher*innen zu Stress und Beengung, sondern auch unter den Bewohner*innen, die den Markt vor der Haustüre haben.

Früher sozialer Treffpunkt, heute Overtourism

Märkte prägen bereits seit der Antike das Zentrum von Städten. Den hier abgebildeten „Hoher Markt“ in Wien gibt es schon seit fast 1000 Jahren.

Zum Nachteil der lokalen Wirtschaft decken Menschen ihren täglichen Bedarf heutzutage viel zu oft durch große Supermarktketten oder  sogar  Online-Shopping. Märkte sind noch immer wichtige Treffpunkte in der Stadt, sind jedoch für Städte und ihre Bewohner*innen nicht mehr so essenziell wie zu früheren Zeiten. Seit der Antike waren Märkte sowohl Handels- als auch soziale Zentren und haben sich stark auf das Leben in und das Wesen von Städten ausgewirkt.

Siedlungen mit „Marktrecht“, sogenannte Marktgemeinden oder Minderstädte, haben sich erheblich von den Dörfern und Orten in ihrer Umgebung unterschieden – eine Verwaltungsentscheidung, die im Aufbau einiger Städte heute immer noch erkennbar ist.

Heutzutage gibt es in Wien immer noch viele ganzjährige Märkte, wie etwa den Naschmarkt, den Brunnenmarkt, oder den Kutschkermarkt, bei denen Besucher*innen kulinarische Besonderheiten und  frische Produkte aus der Region erwarten. Zusätzlich gibt es zeitlich begrenzte Wochenendmärkte, Flohmärkte oder eben Weihnachtsmärkte. Die Weihnachtsmärkte haben in den letzten 30 Jahren stark zugenommen. Gemeinsam mit dem Bevölkerungswachstum und der einhergehenden Reisetätigkeit, wurde aus der Weihnachtsromantik zunehmend mehr eine Massenveranstaltung. Die Folgen sind in der Bevölkerung zu spüren. Overtourism, ein Phänomen, das zunehmend zu Konflikten zwischen Besucher*innenn und Einheimischen führt: das tägliche Leben wird als Belastung erlebt und Überforderung sind die Folgen.

Gehen wir in das Jahr 1990 zurück – Was hat sich seitdem verändert?

Damals gab es deutlich weniger Weihnachtsmärkte, die zudem nur auf Dezember beschränkt waren. Die Anzahl der Weihnachtsmärkte ist seitdem stark gewachsen, an „jeder freien Ecke schießen sie aus dem Boden“ und sie eröffnen teilweise bereits Mitte November. Manche Märkte, wie der Wiener Christkindlmarkt, bleiben sogar bis nach Weihnachten offen. Die Anzahl und Dauer sind also deutlich länger geworden. Derzeit gibt es mehr als 20 offizielle Adventmärkte in Wien, die zu einem intensiven Weihnachtstourismus führen. Es frequentieren mehr und mehr Besucher*innen die Märkte, was wiederum dazu führt, dass es auf den Weihnachtsmärkten immer wieder zu Phasen dichter Menschenansammlungen kommt. Das wirkt sich auf das Wohlbefinden aus.

Die psychologische Belastung durch Weihnachtsmärkte

Was für die einen ein schönes Ausflugsziel, für einen oder ein paar Tage, ist, kann für Bewohner*innen in umliegenden Straßen zu einer belastenden Situation werden, bei der viele Sinne betroffen sind: Nach Betriebsschluss strömen Menschenmassen weiter, erzeugen Lärm in späten Abendstunden, machen den Nachhauseweg von der Arbeit zu einem Hindernislauf, oder sogar einer Wanderung, denn öffentliche Verkehrsmittel sind voll und Radwege werden ignoriert- und das Tag für Tag, wenn sich der Geruch von Würstel, gebrannten Mandeln und Alkohol noch am nächsten Morgen wiederfindet.

Dichte Menschenmengen, welche einen von Stand zu Stand schieben, von allen Seiten drücken und schieben, können ein unangenehmes Gefühl der Enge erzeugen. Die Psychologie spricht hier vom Crowding [engl. Crowd, Menschenmenge, Masse]. Es beschreibt das Gefühl einer Überforderung durch eine Einengung der Privatsphäre, insbesondere ausgelöst durch räumliche Beengtheit. Nach Stokols (1978) ist dabei vor allem die Trennung von objektiver Dichte (density) und Enge (crowd) wichtig, wobei Crowding ausschließlich die subjektive Erfahrung des Beengt-Seins meint, die bei Menschen zu Stressreaktionen und Angstzuständen führen kann. Kennen Sie dieses Gefühl?

Auf Weihnachtsmärkten kann es in den Abendstunden schnell einmal zu Overcrowding, oder Overtourism kommen. Dies kann zu Stress oder Konflikten zwischen Bewohner*innen und Besucher*innen führen.

 

Zukunft und Lösungsansätze

Weihnachtsmärkte können selbst resiliente Nachbarschaften, mit gutem Zusammenhalt, auf die Probe stellen. Wenn es zu Konflikten kommt, müssen die Gegebenheiten reflektiert werden. Sind Marktgröße (Fläche und Stand-Anzahl) und Marktdauer für alle Betroffenen angemessen? Gegebenenfalls müssen neue Grenzen gesetzt werden. Psychologisch betrachtet ist es von hoher Bedeutung, dass es diese Grenzen gibt, denn Belastungen erzeugen deutlich weniger Stress für Betroffene, wenn das Ausmaß der Belastung klar geregelt ist, also z.B. die Dauer des Marktes und die Betriebszeiten, das macht die Belastung absehbar. Im Falle von Overtourism (auch Übertourismus genannt) gibt es in anderen Städten und Ländern noch striktere Auflagen, die beispielsweise rechtliche maximale Besucher*innenzahlen vorsehen. Bei solchen Maßnahmen haben die einzelnen Bezirke in Wien jedoch relativ wenig Einflussmöglichkeiten, denn die Stadtpolitik ist gemeinsam mit dem Magistrat für die Marktordnung zuständig. 

Rechtliche Vorschriften können jedoch nicht alle Probleme lösen. Um auf das Verhalten von Besucher*innen einzuwirken, kann es daher nützlich sein, sich auch psychologischem Wissen zu bedienen, wie etwa dem Nudging. Beim Nudging [engl. Nudge, Anstoß] werden nur die Rahmenbedingungen einer Situation verändert, die Entscheidungsfreiheit des Menschen bleibt jedoch erhalten. Die meisten Menschen versuchen von Natur aus auf andere Rücksicht zu nehmen, weshalb oft schon banale Interventionen, wie ein Schild mit Informationen, oder das Bieten von Verhaltens-Alternativen, zu Verbesserungen führen kann.

Zur Vorbeugung, oder Behandlung bereits bestehender Konflikte, empfehlen wir, diese auch als solche zu behandeln, dafür kann ein psychologischer und mediativer Zugang sinnvoll sein. Das Angebot einer regelmäßigen Sprechstunde könnte Milderung bringen. Viele Orte sind vom Tourismus abhängig, weshalb die Bedürfnisse von Bewohner*innen, Besucher*innen und Wirtschaftstreibenden aufeinander abgestimmt werden müssen. Durch den Dialog können so auch Lösungen gefunden werden, die beiden Seiten der Münze zugutekommen. 

Weihnachtsmärkte sind nicht nur für den Tourismus wichtig, sondern wirken auch für Bewohner*innen als sozialer Treffpunkt in der dunklen Jahreszeit. 

Dass die Zahl an Weihnachtsmarkt-Besucher*innen in den kommenden Jahren sinkt, ist unwahrscheinlich. Dies würde die bereits bestehende Belastung für Bewohner*innen im und um dem Marktgebiet verstärken. Nicht zwingend sind Probleme und Konflikte die Folge, wenn die entsprechenden Umstände rechtzeitig erkannt werden und frühzeitig eingegriffen wird. Durch einen frühzeitigen Dialog und Partizipation kann auf die Situation eingewirkt werden, bevor diese zu einem chronischen Stressfaktor wird. Auf diese Weise kann die Adventkultur in Wien auch weiterhin bestehen bleiben, denn prinzipiell sind Weihnachtsmärkte etwas sehr Schönes und Romantisches in der dunklen Adventszeit und durchaus auch ein Teil vom Wesen Wien ist.

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