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Willkommen im Alsergarten – zwischen Ordnung und Chaos 

Gemeinschaftsgärten sind aus vielen Aspekten ein wertvolles Gut in einer Stadt oder Gemeinde und immer spannend für eine STADTpsychologie-Begehung. Wir waren beim Kulturverein Alsergarten und haben unsere Eindrücke und das Wesen des Alsergarten festgehalten.


Vorwissen und Forschungsinteresse

Mitten in Wien sein eigenes Gemüse anpflanzen? Sich öffentlichen Raum aneignen und umgestalten? Das mag für viele utopisch klingen, doch genau diesen Wunsch verwirklicht der Alsergarten. Der Alsergarten, der nahe am Donaukanal liegt, wird vom Kulturverein Alsergarten betrieben. Ziel des Vereins ist es, Bewohner*innen nicht nur direkten Zugang zu frischem, regionalem Gemüse ermöglichen, sondern auch im weiteren Sinne gemeinschaftsdienlich zu sein. Darum soll der Alsergarten einen Aufenthaltsort für Anwohner*innen schaffen, Kulturangebote bieten, sowie ein Ort gegen Diskriminierung sein, an dem sich alle Menschen zugehörig fühlen. 

Durch die Aneignung von öffentlichem Raum und dessen Umgestaltung stellt der Alsergarten einen interessanten Ort für die STADTpsychologie und einen Empirischen Spaziergang (ESP) dar. Wir wollen dem Alsergarten ein Stück näherkommen und ihn verstehen lernen.

Den Ort kennenlernen und systematisch erfassen
Der wichtigste Orientierungspunkt ist das große Eingangsportal, welches uns gleich zu Beginn auffällt. Der Bogen wurde aus einer großen Holzkonstruktion gebaut und ist Richtung Donaukanal ausgerichtet. Während wir den Garten einmal umrunden, stellen wir fest, dass sich seitlich des Gartens sowie an der Rückseite ein niedriger Zaun befindet. Dieser bildet eine klare Grenze zwischen dem Garten und seiner Außenwelt. Besonders wird dadurch die Abgrenzung zur Straße auf der Rückseite des Gartens und die Öffnung zum Donaukanal hin deutlich. Einige Lücken im Zaun lassen uns vermuten, dass es sich hierbei um kleine, inoffizielle Nebeneingänge handelt. Trampelpfade führen hier ins Innere des Gemeinschaftsgartens.

Insgesamt kann man den Garten in drei grobe Teile gliedern. Im Zentrum befinden sich verschieden Sitzmöglichkeiten und eine Tischtennisplatte. Links vom Eingang befinden sich Gemüse-Hochbeete. Rechts des Eingangs, an der Rückwand des Gartens befindet sich ein wild bewachsener Abschnitt, welcher lediglich vom Grenzzaun abgetrennt wird.

Wozu lädt dieser Ort ein und wen?

Das Eingangstor ist auffällig und ansprechend. Wir können uns gut vorstellen Gartenarbeiten in den Beeten zu verrichten, Tischtennis zu spielen oder sich mit Freund*innen zu treffen. Weniger geeignet finden wir den Gemeinschaftsgarten zum entspannten Verweilen, beispielsweise in einem Liegestuhl. Zudem waren wir uns unsicher, ob es sich um einen privaten oder öffentlichen Raum handelt und ob wir uns als Außenstehende überhaupt im Alsergarten aufhalten dürfen. Trotzdem haben wir uns hinein getraut. An dem Montagvormittag der Begehung, waren wir die einzigen im Alsergarten. Uns wurde allerdings berichtet, dass der Gemeinschaftsgarten vor allem von Jugendlichen nach der Schule und von jungen Erwachsenen zum Tischtennisspielen besucht wird. Außerdem würden sich dort jeden Donnerstagnachmittag Menschen zum Gärtnern verabreden.

Chaotische Idylle und ambivalente Eindrücke

Ein wichtiger Teil des ESP ist die Wahrnehmung. Wir nehmen also mit allen Sinnen wahr und lassen es wirken. Beim Umschauen fallen uns zunächst verschiedene Pflanzen, Bäume, Beete, Gießkannen, eine Tischtennisplatte, die Sonne, einen größeren Wassertank, einen Geräteschuppen, ein Bewässerungssystem sowie die orangenen Spinde des Schwimmvereins Donaukanal auf. Außerdem sehen wir Häuser, Menschen die Vorbeigehen oder auf Bänken sitzen, vorbeifahrende Autos, eine Baustelle sowie einen Mann in Badehose, der auf einem Balkon steht. Vor allem das Grün der Pflanzen dominiert das Bild. Die wahrgenommene Unordnung, lässt sich auf laufende Umbauprojekte zurückführen. Diese Kombination macht den Alsergarten visuell zu einer chaotischen Idylle. Weniger idyllisch sind die hörbaren Reize. Es sind typische, urbane Stadtgeräusche: Baustellenlärm, Automotoren und die U-Bahn. Dazwischen können wir nur hin und wieder bellende Hunde und leises Vogelzwitschern wahrnehmen. Einen dominanten Geruch, der als typisch für den Ort festgemacht werden könnte, gibt es nicht. Auffallend ist aber, dass die Luft frisch und leicht nach Donaukanal riecht. Der Boden, auf dem wir stehen, fühlt sich trocken, sandig und uneben an.

Generell gibt uns der Alsergarten ein ambivalentes Gefühl. Einerseits ist es ein idyllischer Ort, welcher jedoch erheblich von urbanem Lärm geprägt ist. Seine dichte Bepflanzung ist schön, sowie einige attraktive Objekte, wie das Eingangstor, die Tischtennisplatte und die Sitzmöglichkeiten. Weniger attraktiv nehmen wir den wild wachsenden Teil des Gartens sowie der Mangel an schattigen Sitzmöglichkeiten wahr. Uneinig waren wir uns im ästhetischen Urteil über die orangenen Schließfächer des Schwimmverein Donaukanal.

Alleinstellungsmerkmale: Wildnis und Offenheit

Vergleicht man den Alsergarten mit anderen Gemeinschaftsgärten, bietet der Garten großzügig Platz und die wild und chaotisch wachsenden Pflanzen sind Alleinstellungsmerkmale des Alsergartens. Zudem sind andere Gärten häufig gänzlich von höheren Zäunen umgeben, wohingegen der Alsergarten nur eine niedrige Abgrenzung aufweist.

Was verbinden wir mit dem Ort?

Ohne besondere Vorkenntnisse über den Verein Alsergarten ließ sich dennoch erahnen, dass hier eher jüngere als ältere Menschen aktiv sind. In der Vereinspolitik vermuten wir vor allem linke und basisdemokratische Elemente mit einer Verankerung in der alternativen und ökologischen Szene.

Das Wesen Alsergarten: lebendig, natürlich, chaotisch, freundlich

Der Alsergarten ist geprägt von einer hohen Pflanzendichte, offenen Plätzen zum Verweilen und einer gewissen Unaufgeräumtheit. Dadurch wirkt das Wesen des Ortes wild, lebendig, natürlich, chaotisch, ziellos und freundlich – wir assoziieren ein Kind im Volksschulalter, das sich selbstbestimmt, aber ohne konkretes Ziel entfaltet und noch viel Entwicklungspotential aufweist.

Veränderungsideen

Obwohl der Verein Alsergarten bereits ein vielfältiges Angebot bereitstellt, sehen wir noch Potenzial und würden ein Paar Veränderungsvorschläge anbringen. Ein zentrales Thema ist, die Kommunikation der Funktion und Ziele des Alsergartens. Der Name „Alsergarten“ an prominenter Stelle, z.B. über dem Eingangsportal wäre hilfreich. Denn Vorbeigehende sehen bisher nur den Schriftzug des Schwimmvereins Donaukanal über deren Schließfächern, was vermuten lässt, dass der Garten diesem Verein gehört. Der eingezäunte Bereich trägt den Rest dazu bei, dass der Garten nicht als öffentlich wahrgenommen wird. Diese Maßnahme würde die breite Bevölkerung, vorbeikommend über den Donaukanalrad- und Fußweg ansprechen. Im Inneren würden Beschilderungen der einzelnen Elemente des Gartens mit Erklärungen den Aufenthalt abrunden und mehr Verständnis deren Funktionen schaffen. Bauliche Maßnahmen, wie weitere Sitzmöglichkeiten, Hängematten und eine bessere Beschattung der vorhandenen Sitzplätze, würden wir auch begrüßen. Natürlich müssen materielle und auch zeitliche Ressourcen eingeteilt werden und die Veränderungen sind ein Prozess. 

Die unmittelbare Nachbarschaft ist ein zentraler Faktor für das Gelingen solcher wachsenden Projekte, wie dem Alsergarten, darum halten wir eine proaktive Kommunikation mittels Flyer für besonders wichtig.

Unsere Diagnose: ein Ort zum wohlfühlen mit Potenzial

Insgesamt finden wir den Ort sehr schön und fühlen uns dort sehr wohl. Der Alsergarten ist eine idyllisch-chaotische Utopie umgeben von urbaner Hektik. Durch eine bessere Kommunikation und ein deutlicheres Willkommenheißen des Alsersgartens mit seinen kulturellen Angeboten kann dieser Ort noch wertvoller und offener für die Nachbarschaft und zufällig Vorbeilaufende werden.

 

Dieser Text entstand unter Mitarbeit von Johann Aumüller und Lara Bednorz.

Fotos: ©STADTpsychologie

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