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Homeoffice im Freien – taugt der öffentliche Raum als Arbeitsplatz?

Wenn die Tage länger werden und die Sonne zu wärmen beginnt, zieht es viele Menschen nach draussen. Sie haben genug Zeit zu Hause im Homeoffice verbracht. Warum nicht im öffentlichen Raum arbeiten? Fakten, warum das keine gute Alternative ist und der öffentliche Raum als Arbeitszimmer auf Dauer nicht funktionieren kann.


Es ist eine schöne Vision, die Yvonne Miller, Senior Manager Content & News XING, in ihrem Artikel „Warum Homeoffice, die Zukunft der Städte verändern wird“ beschreibt: „Wenn weniger Menschen täglich für die Arbeit in die Stadt strömen, werden zudem auch viele Parkplatzflächen obsolet werden. Auf einmal wäre wieder Platz da – für Parks und Rasenflächen oder für Gemeinschaftsgärten und Kinderspielplätze. Auch der öffentliche Verkehr müsste neu gedacht werden. Es liegt nun in unserer Hand: Setzen wir uns dafür ein, dass diese Pandemie der Startpunkt für lebenswerte Innenstädte wird.“

Die Psychologie ist in diesem Punkt – wie so oft bei gesellschaftlichen Innovationen – eine Spielverderberin. Während sich Technologien und Rahmenbedingungen rasch ändern, sind die Bedürfnisse der Menschen vermutlich seit Jahrtausenden dieselben geblieben. Werden sie nicht erfüllt, gibt es zuerst große seelische Mängel die anschließend zu gesundheitlichen Problemen führen können.

Homeoffice hält viele Mängel bereit, die der öffentlichen Raum nicht kompensieren kann

Studien haben in letzter Zeit vermehrt gezeigt, dass Homeoffice neben vielen, meist wirtschaftlichen Vorteilen, negative Folgen für das seelische Wohlbefinden hat. Höhere Produktivität und weniger Krankheitstage (Bloom et al., 2018) hängen mit Überstunden und zunehmender Erschöpfung zusammen (WIdO, 2019). Als Grund dafür können nicht eingehaltene Pausenzeiten, die fehlende Tagesstruktur und mangelnde Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit gesehen werden (Bloom et al., 2018).

Im Gegensatz dazu bietet ein Arbeitsplatz, außerhalb des Zuhauses, psychologische Vorteile – sei es im Co-Working oder in der Firma. Es gibt Raum für Nähe und Austausch. Das sind grundlegende Bedürfnisse aller Menschen. Vielleicht ist auch Ihnen schon aufgefallen, dass in Videokonferenzen zwar Informationen ausgetauscht werden, aber komplexe Themen oder Konflikte nur schwer gelöst werden können. Menschen sind so gestrickt, dass sie für komplizierte Sachverhalte nicht nur den Dialog brauchen, sondern das Gegenüber mit allen Sinnen wahrnehmen müssen. Viele wichtige Informationen werden durch non-verbale Kommunikation übertragen. Sie geben Hinweise, die helfen, die Gesprächspartner:in besser einzuschätzen. Dadurch bekommen wir ein Gefühl dafür, wie wir uns als soziale Wesen behaupten können. Doch der Austausch auf der zwischenmenschlichen Ebene bleibt im Homeoffice unerfüllt, wodurch eine wichtige Vertrauensbasis verloren geht (oder gar nicht erst entstehen kann) und wir Dinge die uns belasten, nicht mehr mit anderen Menschen teilen können (sharing). Das eigene Problem wird nicht mehr relativiert. Man bekommt keinen sozialen Rückhalt von Kolleg:innen. Mit seinem Ballast steht man also alleine da. Schon seit Jahren schließen sich Einzelunternehmener:innen deshalb zu Co-Working spaces zusammen, weil sie erkannt haben, dass das einsame Arbeiten zu Hause auf Dauer demotivierend und anstrengend sein kann. Und eigentlich auch wenig kreativ. Denn für gute Ideen braucht es einen ganzheitlichen Austausch, den Dialog, den Widerspruch, den Diskurs.

Warum Office im Freien als Alternative nur bedingt geeignet ist

Die Natur und die schönen Dinge draussen locken und vermitteln eines: lass das Arbeiten sein, genieße doch den Tag. Das erfordert ganz besondere Konzentration. Leider geht auch der Erholungseffekt verloren, wenn wir dort arbeiten, wo wir normalerweise abschalten. Nun wird nicht nur die eigene Wohnung, sondern auch der öffentliche Raum mit Arbeit assoziiert.

Yvonne Miller schreibt in ihrem Artikel, dass „diese [öffentlichen] Räumlichkeiten zu kreativen und kulturellen Begegnungszonen werden, die auch soziale Bedürfnisse der Stadtbevölkerung berücksichtigen. Mit einer vorausschauenden Stadtplanung könnten Innenstädte so wieder Zentren der kulturellen Begegnung und des sozialen Miteinanders werden“.

„Dem öffentlichen Raum wird ziemlich viel zugemutet: er soll die Einsamkeit kompensieren, gutes Internet bereit halten, schön sein, damit wir uns zumindest im Freien zu Hause fühlen können, er soll uns beim Arbeiten nicht ablenken und ruhig soll es bitte auch sein, aber trotzdem soll er uns mit anderen Menschen verbinden.“

Nun sitzen Sie an einem schönen Platz, vielleicht sogar in einem Park und stellen fest, dass Sie diese einsame Arbeitssituation trotz schöner Umgebung eigentlich nicht zufrieden stellt. Sie vermissen ihren alten Arbeitsplatz, den Austausch mit Kolleg:innen und dass Sie sich einfach auf Ihre Arbeit konzentrieren können. Das Office im Freien verbraucht viele Ressourcen, weil es zu viele Reize bietet, die Sie von der eigentlichen Arbeit ablenken. Weil die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, werden der Abstand und die mentale Erholung, die gerade jetzt so dringend nötig wären, viel zu selten. Der öffentliche Raum als Arbeitszimmer ist eine schöne, aber beim genaueren Nachdenken doch eine schwierige und genau genommen, unpassende Metapher.

Literatur

  • Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (Hrsg.) (2019). Fehlzeiten-Report 2019, Schwerpunkt: Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen. Springer, Berlin Heidelberg.
  • Baethge, A., & Rigotti, T. (2010). Arbeitsunterbrechungen und Multitasking: Ein umfassender Überblick zu Theorien und Empirie unter besonderer Berücksichtigung von Altersdifferenzen ; Forschung Projekt F 2220. BAuA.
  • Bloom N., Liang J., Roberts J., Ying Z. J. (2018). Does Working from Home Work? Evidence from a Chinese Experiment , The Quarterly Journal of Economics, Volume 130, Issue 1, February 2015, Pages 165–218, https://doi.org/10.1093/qje/qju032
  • Miller, Y. (2020). Warum Homeoffice die Zukunft der Städte verändern wird. https://www.xing.com/news/klartext/warum-homeoffice-die-zukunft-der-stadte-verandern-wird-4000 (abgerufen am 22.02.22)
  • Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), (2019). Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen. https://www.wido.de/news-presse/aktuelles/2019/fehlzeiten-report-2019/ ((abgerufen am 22.02.22)

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