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Mehr Dialog für den Naschmarkt

Der Konflikt ist eskaliert und wie es aussieht, lassen sich die Wogen auch nicht so schnell glätten. Der Zugang „jetzt Bauen wir mal um und dann wird es den Menschen schon gefallen“ ist zwar legitim, aber macht es ihn dadurch auch richtig? Beim Naschmarkt wohl eher nicht – hier braucht es mehr Dialog.

Der Naschmarkt als städtischer Bedeutungsraum

Mit „städtischer Bedeutungsraum“ meint die STADTpsychologie jene Orte, die aufgrund ihrer Geschichte, Lage und Nutzung, eine übergeordnete Bedeutung für die Stadt haben (Ehmayer-Rosinak, 2018). Die Wiener*innen haben sich diese Orte angeeignet und fühlen sich mit ihnen verbunden. Aneignung ist ein menschliches Grundbedürfnis (Maderthaner, 1995; Flade, 2006) das zu einer hohen Identifikation der Menschen mit dem Ort führt. Es stärkt die Bereitschaft, für die Erhaltung dieser Orte zu kämpfen, weil jede Veränderung mit einem Verlustgefühl einhergeht.
Auch der Naschmarkt kann als städtischer Bedeutungsraum bezeichnet werden. Mit Widerstand gegen neue Planungsvorschläge war daher zu rechnen, vor allem, da er nicht nur das kulturelle Wesen der Stadt prägt, sondern auch das visuelle Erscheinungsbild.

Die Besonderheit: Weitblick mitten in der Stadt
Weitläufige und offene Räume sind in Großstädten eine Seltenheit.

Stark verbaute Städte sind oft durch aneinander gereihte Häuserschluchten gekennzeichnet, weshalb viele Menschen eine starke Sehnsucht nach Weite und Freiraum haben. Die im englischen Raum als „Public Open Spaces“ bezeichneten Plätze und die „Vistas“, die sie liefern, sind nicht nur schön anzusehen, sondern wirken sich sogar positiv auf die physische und psychische Gesundheit aus (siehe z.B. Villanueva et al., 2015). Dies spiegelt sich bereits in den Immobilienpreisen von Wohnungen mit Panoramablick wider und führt selbst bei Einzelbauten oft zu harten Konflikten. Die geplanten Umbauten am Naschmarkt gehen mit einem Blickverlust einher, was die Abwehrhaltung bezüglich Veränderungen noch zusätzlich verstärkt.

Was läuft schief bei der Diskussion am Naschmarkt?

Kurz gesagt: Es fehlt die umfassende Analyse zum „Wesen Naschmarkt“ (Ehmayer-Rosinak, 2017) und damit einhergehend, ein breit geführter Dialog mit allen Beteiligten. All jene, die sich mit partizipativer Stadtentwicklung ernsthaft beschäftigen wissen, dass der Konflikt vorprogrammiert ist, wenn große Änderungen über die Köpfe jener entschieden werden, die es betrifft. Ganz besonders dann, wenn es schon eine organisierte Bürgerschaft gibt, die bereits für den Erhalt ihres Lebensumfelds gekämpft hat, wie es am Naschmarkt der Fall ist. Die Lösung kann nicht sein, den Menschen eine fixe Idee, in diesem Fall eine Markthalle ohne vorhergehende Analyse zu präsentieren. Es geht hier um viel mehr als eine Halle, Bäume, Büsche oder Bänke.

Es geht darum zu erkennen, wie sich die Bedeutung des Naschmarktes in seiner Gesamtheit gewandelt hat und was sich daraus für die Zukunft ableiten lässt.

Erinnerungsfotos am Naschmarkt zeigen von seinem Wandel
Der fehlende Dialog gefährdet die „städtische Gesundheit“

Wenn die Entwicklung eines städtischen Bedeutungsraumes nicht in einem Dialogprozess erfolgt, auf den sich Politik und Bürger*innen ernsthaft einlassen, dann besteht die Gefahr von großer Enttäuschung. Je länger der Konflikt dauert und je länger diese Enttäuschung anhält, desto eher kann das Gefühl von „Erlernter Hilflosigkeit“ entstehen. Nach Seligman (1967) handelt es sich dabei um eine, aufgrund negativer Erfahrung entwickelte Überzeugung, die eigene Lebenssituation nicht beeinflussen und verändern zu können. Wenn Menschen also Ereignissen ausgesetzt sind, die sie nicht kontrollieren können – wie zum Beispiel die Umgestaltung eines Ortes, zu dem sie eine starke Beziehung haben – kann dies zu einer depressiven Stimmungslage führen. In weiterer Folge sinkt die Identifikation mit der eigenen Stadt und Stadtteile beginnen sozial zu verwahrlosen. Sie verkommen zu baulichen Hüllen, hinter denen sich kein positives Lebens- und Stadtgefühl mehr verbirgt. Soweit sollte es mit dem Naschmarkt nicht kommen.

Protest und Widerstand gegen die eigene Hilflosigkeit
Protest der Hausbewohner*innen beim Naschmarkt

Protest und Widerstand sind ein kollektives Verhalten, um dem Gefühl der eigenen Hilflosigkeit entgegenzuwirken. Psychologisch gesehen, eine gesunde Reaktion der Betroffenen. Protest und Widerstand führen jedoch nicht unmittelbar zu guter Planung, sondern eher zu verhärteten Fronten. Im Konfliktfall ist das persönliche Wohlbefinden beeinträchtigt und die positive Entwicklung des Stadtgebietes gehemmt. Die Akzeptanz zu den Planungsvorschlägen sinkt zunehmend und der Ort bekommt am Ende nicht das, was er eigentlich verdient. Der politische Weg liegt in einem solchen Fall auf der Hand: Bewohner*innen und lokale Akteure (Wirtschaft, Organisationen, Institutionen) gleichermaßen in einem Dialogprozess einzubinden und so echte Mitsprache zu ermöglichen.

Der Ausweg? Zurück zum „Runden Tisch“!

Runder Tisch -Round Table DiscussionViel Energie, Zeit und Steuergeld wurden in den letzten Jahren für die Entwicklung des Naschmarkt-Gebietes aufgewendet. Trotzdem: Will man dem Naschmarkt und allen, die mit ihm verbunden sind, etwas Gutes tun, dann braucht es gerade jetzt einen moderierten Dialog. Es wird nicht ein einziger Runder Tisch ausreichen, sondern viele Zusammenkünfte auf Augenhöhe benötigen, doch es würde sich lohnen, diese Zeit aufzuwenden. Wien kann nur dann zukunftsfit werden, wenn die Tradition der partizipativen Stadtentwicklung weiterhin gut geführt wird – vor allem, wenn es um einen Stadtraum geht, der vielen Menschen viel bedeutet. Die Instrumente und das Know-how wären vorhanden. Die Chance ist noch nicht vertan und das Window-of-Opportunity hat sich noch nicht geschlossen. 


Empfehlung:
Ausstellung PROTEST/ARCHTITEKTUR im MAK: https://www.mak.at/protestarchitektur

Bilder: © STADTpsychologie

Literatur:
• Ehmayer-Rosinak, C. (2017). How to Diagnose a City – the Activating City Diagnosis (ACD) as a novel tool for participatory urban development. In: Community Psychology in Global Perspective CPGP, Comm. Psych. Glob. Persp. Vol 3, Issue 1, 33 – 56. Salento: ESE – Salento University Publishing
• Ehmayer-Rosinak, C. (2018). Partizipative Stadtentwicklung am Beispiel des Wiener Donaukanals. In: Jüttemann (Hrsg.). Stadtpsychologie. Handbuch als Planungsgrundlage. Lengerich: Pabst Science Publishers.
• Flade, A. (2006). Wohnen psychologisch betrachtet. Bern: Huber.
• Karig, F. (2024). Wie Protest wirklich wirkt. Berlin: Ullstein
• Maderthaner, R. (1995). Soziale Faktoren urbaner Lebensqualität. In Keul, A. (Hrsg.), Wohlbefinden in der Stadt (S. 172–197). Weinheim: Psychologie Verlags Union.
• Masterplan Partizipation: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/partizipation/masterplan/
• Maier, S. F., & Seligman, M. E. P. (2016). Learned helplessness at fifty: Insights from neuroscience. Psychological Review, 123(4), 349–367
• Villanueva, K. et al. (2015). Developing indicators of public open space to promote health and wellbeing in communities. Applied geography, 57, 112-119.
• Wagner, Sabine (2019): Lokales Demokratie-Update. Wirkung dialogorientierter und direktdemokratischer Bürgerbeteiligung. Springer Verlag, 2019


Zur Autorin:
Cornelia Ehmayer-Rosinak lehrt an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, Forschungsgruppe Stadt- und Umweltpsychologie und ist seit 2024 ordentliches Mitglied des neu gegründeten deutschen Fachverbands für Bürgerbeteiligung. Sie gilt als Expertin für eine partizipative Stadtentwicklung.

 

 

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