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Der Reumannplatz: Ein Ort zwischen Ruhe und Rastlosigkeit

Der Reumannplatz ist weithin bekannt und ein zentraler Ort in Favoriten. Für viele Menschen im 10. Bezirk ist er eine wichtige Schnittstelle des alltäglichen Lebens. Was zeichnet diesen Platz aus? Im folgenden Blogartikel geben wir einen Einblick in die dort vorherrschende Stimmung und zeigen auf, was noch besser laufen könnte.

Annäherung an den Platz

In Norden von Favoriten befindet sich der Reumannplatz. An dieser zentralen Drehscheibe trifft der öffentliche Nahverkehr auf die anliegende Nachbarschaft und verbindet sie mit dem Rest der Stadt. Für viele Anwohner*innen ist der Platz aber mehr als nur eine große U-Bahnstation. Man trifft sich hier zum Entspannen und um miteinander Zeit zu verbringen. Um dem gerecht zu werden, wurde der Platz Anfang 2020 neugestaltet und verfügt nun über mehr Grün und neue Sitzmöbel. Neben dem berühmten Amalienbad ist hier auch der ebenfalls weithin bekannte Eissalon Tichy zu finden. Der Reumannplatz ist aber nicht nur für seine strahlenden Berühmtheiten bekannt, sondern auch für seine Schattenseite. So berichteten erst vor wenigen Monaten verschiedene Zeitungen über eine Zunahme von Jugendgewalt im Umfeld des Platzes und die Einrichtung einer Waffenverbotszone.

Wie läuft das alltägliche Beisammensein der Stadtbevölkerung an einem Ort ab, bei dem so vieles aufeinandertrifft? Und wie funktioniert die 2020 fertiggestellte Neugestaltung des Platzes heute? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, führten wir im Rahmen unseres Universität Wien Seminars einen Empirischen Stadtspaziergang (ESP) am Reumannplatz durch.

Den Reumannplatz entdecken

Der Reumannplatz wird in seinem Zentrum von der Favoritenstraße durchquert, die hier in eine Fußgängerzone übergeht. In der Mitte des Platzes befindet sich der Ausgang einer U-Bahnstation. Von dort aus begaben wir uns zunächst an den Rand des Platzes, um ihn einmal komplett zu umrunden. Beim Verlassen des U1-Aufganges war unser erster Eindruck geprägt von Beton, ein bisschen Grün am Rand und sehr vielen Tauben. Dieses triste Bild wird von einer Pferde Statue untermauert, die sofort in den Blick fällt. Hierbei handelt es sich nicht um die gewöhnliche Darstellung eines Pferdes, denn das bronzene Tier liegt energielos auf einem Sockel. In uns löste die Statue ein mulmiges Gefühl aus, wir fragten uns unmittelbar: „Ist das Pferd tot?“ Erst ein verstecktes Informationsschild verrät, dass das Tier nur schläft und Ruhe symbolisieren soll. Für uns ist von dieser Symbolik nur wenig zu spüren.

Erst Abseits der geschäftigen Favoritenstraße konnten wir auch ruhigere Ecken entdecken. So befindet sich am südöstlichen Ende des Platzes ein großer von Bäumen gesäumter Spielplatz. Ein paar Meter weiter folgt ein mit Fitnessgeräten bestücktes Sportareal. Angrenzend daran liegt ein kleines Stück Grün, dass mit seiner dichten Bodenbepflanzung und einer Vielzahl an Bäumen fast schon wie ein kleines Wäldchen anmutet—es roch sogar nach der Ruhe des Waldes. Wir waren überrascht, wie anders die Stimmung dort war, verglichen zum nur wenige Meter entfernten Betonplatz.

Ein bunter Mix aus hektischem Treiben und Entspannung

Der Reumannplatz ist in erster Linie geprägt von einem stetigen Strom an Menschen auf der Durchreise. Wie ein Fluss durchqueren sie die Mitte des Platzes. Dabei sind die Reisenden entweder auf dem Weg zur U-Bahn, oder verlassen gerade deren Ausgang. Am Rande des Reumannplatzes sind hingegen auch Menschen anzutreffen, die weniger zielstrebig unterwegs sind. Familien mit Kindern besuchen den Spielplatz, andere machen Pause auf einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten und unterhalten sich. Ein paar Meter weiter nutzen junge Männer die Geräte auf dem kleinen Fitnessareal, daneben rennen kleine Kinder den vielen Tauben hinterher. Das Leben ist hier dicht an dicht in seinen schnellen und langsamen Facetten anzutreffen.

Zwischen Nutzung und Enttäuschung: Der Platz im Zwiespalt

Der Platz bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten ihn zu nutzen und es gibt jede Menge Menschen, die davon Gebrauch machen. Eigentlich ein sehr gutes Urteil für einen öffentlichen Ort, doch so ganz überzeugt der Reumannplatz trotzdem nicht. So kann zum Beispiel das dicht bewachsene Grün seine ruheausstrahlende Wirkung kaum entfalten — einfach, weil es zu wenig ist. Mit seiner geringen Größe kommt es gegen den stetigen Fluss an Nutzer*innen des öffentlichen Nahverkehrs nur schwer an und wirkt im Grunde lediglich wie ein auffallend begrünter Weg zur Untergrundstation. Auch der große Platz vor dem nördlichen Ausgang der U-Bahn löste wenig Begeisterung in uns aus. Zwar gibt es dort viele Sitzgelegenheiten, doch zum längeren Verweilen lädt die Atmosphäre der steinernen Fläche nicht ein.

Ein unstimmiges Bild

Obwohl der Reumannplatz nicht sonderlich groß ist, lässt sich auf den ersten Blick kaum erahnen, was er alles zu bieten hat. Erst wie in einem Puzzle fügen sich die einzelnen Teile zu einem Bild zusammen, welches anfangs gar nicht zu erkennen ist. In der Umweltpsychologie gibt es die sogenannte Prospect-Refuge-Theorie. Sie besagt, dass Menschen sich an Orten wohlfühlen, die Möglichkeiten zum Rückzug bietet und gleichzeitig gut zu überblicken sind (Appleton, 1986). Der Reumannplatz ist schwer zu überblicken. Zu viele Dinge sind im Weg, und so ist es trotz seiner kleinen Fläche schwer, eine Sicht über den ganzen Platz zu haben. Bei uns führte das zu einem gewissen Unbehagen. (Mehr zum Thema Angsträume gibt es auch in unserem Blogartikel zur Safe City). Ein begeisternder Wohlfühlort war der Reumannplatz für uns nicht.

Fazit: Ein Ort mit vielen Gesichtern

Das Wesen des Platzes hat viele Gesichter. Zusammen ergeben sie ein eher unstimmiges Bild. Das ist nicht verwunderlich, denn im urbanen Umfeld treffen häufig viele Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen aufeinander. Hier auf geringem Raum eine Lösung zu finden, die möglichst viele Menschen erreicht ist eine Herausforderung. Der Reumannplatz ist schon nah dran dieses Ziel zu erreichen, doch die Kompromisse, die dabei in Kauf genommen werden, gehen etwas zu weit. Die einzelnen Bereiche des Platzes sind zu klein, um ihre volle Wirkung entfalten zu können. Auch nimmt die U-Bahn-Station eine sehr zentrale Rolle ein und es fällt schwer, sich vom geschäftigen Treiben der Durchreisenden abzugrenzen. Die Lüftungsschächte, diverse Gebäude und Statuen nehmen zudem viel vom Sichtfeld ein und erschweren die Orientierung auf dem Platz.
Einen öffentlichen Ort zu schaffen, der für möglichst viele Menschen etwas zu bieten hat ist gut und wichtig, doch im Idealfall geschieht dies nicht zu Lasten der allgemeinen Qualität. So sollte der Reumannplatz seinen Besucher*innen bestenfalls nicht nur die grundlegende Infrastruktur eines städtischen Treffpunktens bieten, sondern auch ein gewisses Maß an Wohlbefinden schaffen können.

Ein Text von Jasper Brockmann.
Fotos: ©STADTpsychologie


Weiterführende Links:
  • Download Details zum Ablauf des ESP: https://stadtpsychologie.at/wp-content/uploads/2023/09/ESP-Empirischer-Stadtspaziergang-©STADTpsychologie-15.9.23.pdf
  • Eine Zusammenstellung bisher durchgeführter ESPs lässt sich hier finden: https://stadtpsychologie.at/category/esp/
Literatur:
  • Appleton, J. (1986). The experience of landscape. J. Wiley & sons.
  • Ehmayer, C. (2014). Die Aktivierende Stadtdiagnose als eine besondere Form der Organisationsdiagnose: Ein umwelt- und gemeindepsychologischer Beitrag für eine nachhaltige Stadt- und Gemeindeentwicklung. Hamburg: disserta

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