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Leistbares Wohnen schafft Wohlbefinden und Stabilität in der Stadt

Wohnungslosigkeit ist zu einem verbreiteten Risiko in Großstädten geworden, das Menschen aus allen sozialen Schichten betreffen kann. Eine Unzufriedenheit mit der Wohn- und Lebenssituation führt langfristig zu gesellschaftlichem Unfrieden. Warum leistbares Wohnen einen Wert für alle hat.


Die psychische Belastung, bei von Wohnungsnot gefährdeten Personen, ist hoch. Besonders betrifft es einkommensschwache Milieus, weitet sich aber auch immer mehr auf die Mittelschicht aus. Die Angst vor dem „Rausschmiss” durch Mieterhöhungen bei jeder Vertragsverlängerung sowie steigende Energiekosten sind allgegenwärtig. 

“Wenn die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung aussichtslos scheint, macht es nicht nur die Menschen krank, sondern wirkt auf die gesamte Stadt. Widerstand, Gewalt und Protest sind dann oft die einzigen Mittel der Bewohner*innen, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen.”

Cornelia Ehmayer-Rosinak

Dass aus Angst und Frustration gesellschaftlicher Unfrieden werden kann, zeigte sich in Frankreich besonders Anfang der 2000er-Jahre, als die Menschen mit Gewalt auf die Zustände in den Vororten reagiert haben. In Deutschland zeigt der Ruf nach Enteignungen von Immobilien-Großkonzernen, wie sehr sich der Frust über das geringe Engagement der Politik angestaut hat. Auch in Barcelona entstand vor einigen Jahren, durch den Mangel an leitbaren und Sozialwohnungen, eine große Krise und Widerstand in der Bevölkerung.
Wien ist mit seinen Gemeindewohnungen und dem sozialen Wohnbau ein internationales Vorzeigemodell. Nichtsdestotrotz entstehen auch in Wien viele Neubauten, die nur für die besser gestellte Zielgruppe erschwinglich sind.

In einer nicht repräsentativen Umfrage an der Uni Wien, Forschungsbereich Stadt- und Umweltpsychologie, haben wir Studierende nach ihrer Einschätzung gefragt: „Welche Herausforderungen kommen auf europäische Städte in den nächsten 10 Jahren zu?” Neben Klimawandel und Hitze war vorne mit dabei: Wohnungsmangel und Wohnungsknappheit. Der Druck auf junge Menschen scheint besonders hoch, wenn es darum geht, sich Wohnraum künftig noch leisten zu können.

Kreative Wohnlösungen bedeuten Verzicht und unerfüllte Bedürfnisse
Wohnformen, die vom eigenen Haushalt abweichen, wie zum Beispiel studentische Wohngemeinschaften, Baugruppen oder Mehrgenerationen-Wohnen sind schon lange kein Lifestyle mehr, sondern notwendige Konzepte, um für leistbaren Wohnraum zu sorgen. Die Menschen werden kreativ und verzichten immer öfter auf wichtige Wohnbedürfnisse wie Privatsphäre. In „funktionellen Wohngemeinschaften”, werden Räume nach konkreten Funktionen genutzt, so können mehr Personen eine Wohnung nutzen. Konkret bedeutet das, es gibt einen Schlafraum für alle Bewohner*innen, oft bis zu 8 Personen, für stundenweisen Rückzug gibt es manchmal ein kleines zusätzliches Zimmer, Küche, Bad und Wohnzimmer werden geteilt. „Da wir alle berufstätig sind oder studieren sind wir nie zur gleichen Zeit zu Hause.” Es entzerrt sich, weil die Personen unterwegs sind, nach draussen gehen. Dadurch steigt der Druck auf den öffentlichen Raum.

„Ich verwirkliche mich in meiner Wohnung. Sie ist die Fortsetzung von meinem seelischen und geistigen Innenleben. So wie die Ordnung in meinem Leben zunimmt, so nimmt sie auch in meiner Wohnung zu. Ich richte sie ganz nach meinen Bedürfnissen ein und lerne, mich dort selbst im Dunklen zurechtzufinden.” Anonym

(Zu) kleiner Wohnraum schafft Druck im öffentlichen Raum
Keine oder zu kleine, oder überbelegte Wohnungen, ohne Freiflächen führen dazu, dass die Menschen ein größeres Bedürfnis haben, den öffentlichen Raum zu nutzen und ihn sich anzueignen. Öffentliche Einrichtungen dienen als weitere Aufenthaltsorte. Besonders betroffen sind davon Jugendliche. Ist der öffentliche Raum allerdings überfüllt mit Touristen, fühlen sich die Stadtbewohner*innen auch dort nicht mehr wohl. Teuerungen bei Miete und Lebenshaltungskosten, die Unsicherheit durch befristete Mietverträge und die Konkurrenz mit Touristen um Wohnungen belasten viele Einheimische. Es kann zu einer Entfremdung von der eigenen Stadt kommen. Eine Maßnahme, die Hoffnung bringen soll, tritt in Wien im Sommer 2024 in Kraft: die sogenannten Kurzzeitvermietungen werden auf 90 Übernachtungen pro Jahr beschränkt (Wiener Bauordnungsnovelle 2023).

Entfremdung von der eigenen Stadt
Die Entfremdung von der eigenen Stadt ist eine schmerzliche Erfahrung für diejenigen, die sich plötzlich in einer Umgebung wiederfinden, die sich nicht mehr wie ihr Zuhause anfühlt. Die wachsende Frustration bei den Bewohner*innen, die das Gefühl haben, von den Entscheidungstragenden ignoriert zu werden, verstärkt das Gefühl der Entfremdung und führt zu einem zunehmenden Verlust des Gemeinschaftssinns – einer wichtigen Ressource für eine resiliente und gegen Krisen gerüstete Stadt.

Die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum hängen stark von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen ab, die ergriffen werden, um die Wohnungsnot und den Umgang mit Touristenmassen anzugehen. Die Förderung von bezahlbarem Wohnraum, sozialen Unterstützungsprogrammen und städtischer Planung kann dazu beitragen, die negativen Auswirkungen zu mildern und eine ausgewogene Nutzung des öffentlichen Raums sicherzustellen. Klar ist jedenfalls, dass etwas passieren muss und zwar schnell. Die Krise muss angegangen werden, um den Menschen auch langfristig ein sicheres Zuhause und die Identifikation mit ihrer eigenen Umgebung zu ermöglichen.

Titelfoto: ©STADTpsychologie/ Sabine Weschta

Literatur & Weiterführende Links

Initiative Deutsche Wohnen enteignen

Wiener Bauordnungsnovelle 2023

Antje Flade: Wohnen psychologisch betrachtet, 2006

Ehmayer, C. (2014). Die Aktivierende Stadtdiagnose als eine besondere Form der Organisationsdiagnose: Ein umwelt- und gemeindepsychologischer Beitrag für eine nachhaltige Stadt- und Gemeindeentwicklung. Hamburg: disserta

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