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Wie Wohnungsnot das Stadtleben verändert

Der Mangel an leistbarem Wohnraum gehört zu den drängendsten Problemen vieler Großstädte. Steigende Mieten, hohe Lebenshaltungskosten, befristete Mietverträge und die Konkurrenz mit Touristen um Wohnungen stellen eine enorme Belastung für die lokale Bevölkerung dar. Warum die Auswirkungen von Leerstand, Immobilienwirtschaft und Plattformen wie Airbnb sogar bis in den Uni-Hörsaal reichen und welche Veränderungen dies für das Stadtleben und die Bewohner*innen mit sich bringt, beleuchten wir in diesem Artikel.


Nicht jedes Haus dient dem Wohnen

Die Wohnungsnot hat sich in den letzten Jahren durch ein weit verbreitetes Geschäftsmodell zugespitzt, bei dem Wohnungen reserviert werden, um sie dann zu einem teuren Preis an Touristen zu vermieten. Dies ist oft lukrativer als das Vermieten an lokal lebende Personen, doch hat verheerende Folgen für eine Stadt, denn Einheimische werden dadurch regelrecht aus ihren Wohngegenden verdrängt. Eine Maßnahme, die Hoffnung bringen soll, trat in Wien im Sommer 2024 in Kraft: die sogenannten Kurzzeitvermietungen werden auf 90 Übernachtungen pro Jahr beschränkt (Wiener Bauordnungsnovelle 2023). 

Die psychische Belastung bei von Wohnungsnot gefährdeten Personen ist hoch. Besonders betrifft es einkommensschwache Milieus, weitet sich aber auch immer mehr auf die Mittelschicht aus. Die Angst vor dem „Rausschmiss“ durch Mieterhöhungen bei jeder Vertragsverlängerung, sowie steigende Energiekosten sind allgegenwärtig. Es entsteht ein Gefühl der Hilflosigkeit, wenn die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung aussichtslos erscheint und das macht krank nicht nur die Menschen, sondern die gesamte Stadt.

Wohnen in der Zukunft?

In einer nicht repräsentativen Umfrage an der Uni Wien (Forschungsbereich Stadt- und Umweltpsychologie) haben wir Studierende nach ihrer Einschätzung gefragt: „Welche Herausforderungen kommen auf europäische Städte in den nächsten 10 Jahren zu?“ Neben Klimawandel und Hitze war vorne mit dabei: Wohnungsmangel und Wohnungsknappheit.

Städte sind unterschiedlich gut ausgestattet mit sozialem Wohnbau. In Barcelona entstand durch den Mangel an Sozialwohnungen eine große Krise und Widerstand in der Bevölkerung. In Wien, wo die Stadt mit Gemeindewohnungen zwar gut ausgestattet ist, werden jedoch viele Neubauten geschaffen, die durch den teuren Preis nur für die bessergestellte Zielgruppe erschwinglich sind. Der Traum der eigenen Wohnungen erscheint für viele junge Menschen heute bereits unrealistisch. Für jene Gruppen, die weder Anspruch auf Gemeindewohnungen haben, noch sich teure Neubauten leisten können, muss es andere Lösungen geben. 

Kreative Wohnlösungen bedeuten Verzicht und unerfüllte Bedürfnisse

Wohnformen, die vom eigenen Haushalt abweichen, wie zum Beispiel studentische Wohngemeinschaften, Baugruppen oder Mehrgenerationen-Wohnen sind schon lange kein Lifestyle mehr, sondern notwendige Konzepte, um für leistbaren Wohnraum zu sorgen. Die Menschen werden kreativ und verzichten immer öfter auf wichtige Wohnbedürfnisse wie Privatsphäre. In „funktionellen Wohngemeinschaften“, werden Räume nach konkreten Funktionen genutzt, so können mehr Personen eine Wohnung nutzen. Konkret bedeutet das, es gibt einen Schlafraum für alle Bewohner*innen, oft bis zu 8 Personen, für stundenweisen Rückzug gibt es manchmal ein kleines zusätzliches Zimmer; Küche, Bad und Wohnzimmer werden geteilt. „Da wir alle berufstätig sind oder studieren, sind wir nie zur gleichen Zeit zu Hause“. Da die Personen durch den mangelnden Wohnraum vermehrt nach draußen gehen und unterwegs sind, steigt der Druck auf den öffentlichen Raum (später mehr dazu).

„Ich verwirkliche mich in meiner Wohnung. Sie ist die Fortsetzung von meinem seelischen und geistigen Innenleben. So wie die Ordnung in meinem Leben zunimmt, so nimmt sie auch in meiner Wohnung zu. Ich richte sie ganz nach meinen Bedürfnissen ein und lerne, mich dort selbst im Dunklen zurechtzufinden.“ Anonym


Wohnen als Säule für Wohlbefinden und gesellschaftliche Stabilität

Zum einen ist Wohnungslosigkeit zu einem verbreiteten Risiko in Großstädten geworden, von dem Menschen aus allen sozialen Schichten betroffen sein können, zum anderen führt eine Unzufriedenheit mit der Wohn- und Lebenssituation langfristig zu gesellschaftlichem Unfrieden. In Frankreich äußerte sich das beispielsweise besonders Anfang der 2000er-Jahre, als die Menschen auf die Zustände in den Vororten mit Gewalt reagiert haben.

In Deutschland zeigt der Ruf nach Enteignungen von Immobilien-Großkonzernen, wie sehr sich der Frust über das geringe Engagement der Politik angestaut hat. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (kurz DWE) setzt sich dafür ein, dass Immobilien-Großkonzerne in Berlin mit über 3000 Wohnungen im Repertoire sozialisiert werden. Die Gewinne der Unternehmen sollen nicht weiter von Mieter*innen finanziert werden. Sie fordern eine Vergesellschaftung des Bodens und der Wohnungen. Dies beträfe 243.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin und soll den Markt stark entlasten und für langfristiges Wohnen führen.

Konflikte um öffentlichen Raum und gemeingesellschaftliche Ressourcen

Keine, zu kleine, oder überbelegte Wohnungen ohne Freiflächen führen dazu, dass die Menschen ein größeres Bedürfnis haben, den öffentlichen Raum zu nutzen und ihn sich anzueignen. Besonders betroffen sind Jugendliche und öffentliche Einrichtungen dienen als Rückzugs- und Aufenthaltsorte. Durch die zusätzliche Nutzung, dem resultierenden Lärm und die steigenden Temperaturen im Sommer, ist der öffentliche Raum bereits mehr und mehr belastet. Ist er dann auch noch zusätzlich mit Tourist*innen überfüllt, fühlen sich die Stadtbewohner*innen auch dort nicht mehr wohl. Es kann langfristig zu einer Entfremdung der eigenen Stadt kommen.

Die Entfremdung der eigenen Stadt ist eine schmerzliche Erfahrung für diejenigen, die sich plötzlich in einer Umgebung wiederfinden, die sich nicht mehr wie ihr Zuhause anfühlt. Die wachsende Frustration bei den Bewohner*innen, die das Gefühl haben, von den Entscheidungstragenden ignoriert zu werden, verstärkt das Gefühl der Entfremdung. Es führt zu einem zunehmenden Verlust des Gemeinschaftssinns, einer wichtigen Ressource für eine resiliente Stadt, die gegen Krisen gerüstet ist.

Wohnen fördern fördert Leben

Es ist an der Zeit zu handeln, um bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen und sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Wir müssen die Wurzeln dieser Krise erkennen und Menschen auch in Zukunft ein sicheres Zuhause ermöglichen, damit sie sich in ihrer Stadt wieder zuhause fühlen können.

Die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum hängen stark von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen ab. Nicht nur Personen in prekären Wohnsituationen, sondern auch obdachlose Menschen üben Druck auf den öffentlichen Raum aus. Belebte Straßen und Knotenpunkte sind hierbei besonders betroffen. Eine positive Entwicklung ist, dass in Wien kontinuierlich neue Notschlafplätze bereitgestellt werden und auch neue Chancenhäuser eröffnet werden, in denen obdachlose Personen auf längere Zeit unterkommen und Unterstützung erhalten können. Nichtsdestotrotz dürfen nicht nur die Auswirkungen der Wohnungsnot angegangen werden, sondern es müssen bereits die Ursachen bekämpft werden.

Die Förderung von bezahlbarem Wohnraum, sozialen Unterstützungsprogrammen und städtischer Planung kann dazu beitragen, die negativen Auswirkungen zu mildern und eine ausgewogene Nutzung des öffentlichen Raums sicherzustellen. Klar ist jedenfalls, dass gehandelt werden muss. Ein sicheres und lebenswertes Zuhause zu gewährleisten, wird eine der größten urbanen Herausforderungen bleiben – denn nur wer sicher wohnt, kann auch sicher leben.


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