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Trauerarbeit im öffentlichen Raum

Der Gedanke, über Trauerarbeit im öffentlichen Raum zu schreiben, beschäftigt mich schon seit sehr langer Zeit. Jetzt ist ein trauriger Anlass dazugekommen: Der Terroranschlag, der Anfang November 2020 in der Wiener Innenstadt vier unschuldigen Menschen und dem Täter das Leben gekostet hat.

Eigentlich hatte ich mit dem Thema „Trauerarbeit“ etwas ganz anderes im Sinn. Nämlich darüber zu schreiben, dass zu wenig Trauerarbeit im öffentlichen Raum stattfindet, wenn ein größeres Stadtentwicklungsprojekt verhindert wurde. Je nachdem, welche Seite „verloren“ hat – entweder die Bevölkerung oder die Politik – bleibt bei den beteiligten Personen sehr oft eine seelische Narbe zurück. Wut und Trauer über den Verlust werden fast nie als kollektives Ereignis gemeinsam bewältigt, und so dauert es oft viele Jahre, bis der Verlust überwunden werden kann.

Die Bebauung der Steinhofgründe, die nicht verhindert werde konnte, ist ein gutes Beispiel: Über viele Jahre gab es massiven Widerstand gegen dieses Vorhaben, und ich erinnere mich zumindest an eine Bürgerversammlung mit mehr als 1000 Personen, bei der die „Volkswut“ hochgekocht ist. Die Bebauung konnte trotz des  Einsatzes der Bürgerinnen und Bürger nicht verhindert werden. Mit einer Außenperspektive lässt sich sagen, der Protest führte zu einem guten Kompromiss: Es gibt medizinische Einrichtungen, weniger Wohngebäude als ursprünglich geplant und eine internationale Universität. Trotzdem lässt sich in unterschiedlichen Medien erkennen, dass es bis heute Menschen gibt, die mit der Tatsache, dass die Bebauung nicht verhindert werden konnte, nicht abschließen können und es vielleicht auch nie werden.

Ab dem Zeitpunkt als klar wurde, dass eine Bebauung kommt, wäre eine Abschiedsveranstaltung, eine Art Zeremonie, hilfreich gewesen. In der Kirche gibt es das Ritual eines Trauergottesdienstes, im öffentlichen Raum gibt es dazu kein adäquates Ritual. Das kollektive Verabschieden von einem Projekt, für das man lange gekämpft hat und das letztendlich nicht erfolgreich geendet hat, ist wichtig. Trauerarbeit ermöglicht loszulassen und sich wieder anderen Dingen im Leben zuzuwenden. Das Wesen von unabgeschlossenen Konflikten liegt darin, dass sie wieder und wieder an die Oberfläche kommen. Und so können weder der Stadtteil noch die Menschen zur Ruhe kommen.

Als Stadtpsychologin fände ich es wichtig, am Ort des Geschehens eine Zeremonie abzuhalten, um:

  • an die gesamte Geschichte zu erinnern
  • die Möglichkeit zu geben, nochmals den Zorn und die Wut auszudrücken
  • friedlich auseinander zu gehen.

Eine solche Zeremonie sollte in mit den Betroffenen gemeinsam abgestimmt und professionell vorbereitet werden. Die Person welche die Zeremonie führt oder begleitet muss das Vertrauen der Betroffenen genießen und mit der Dynamik von großen Gruppen vertraut sein. Wichtig ist, dass das Ritual für alle passt und nicht aufgesetzt wirkt.

Um abschließend nochmals zum Terroranschlag von Wien zurückzukommen: Da haben die Menschen ganz schnell ihren Weg gefunden, um mit der Trauer umzugehen. Mittlerweile sind sicher tausende von Kerzen in stillem Gedenken angezündet worden. Es ist bewegend, durch das Innenstadtviertel zu gehen und diese Anteilnahme der Menschen wahrzunehmen.

Weiterführende Links:

>> Steinhof-Gründe

>> Central European University – Vertrag mit der Stadt Wien

>> Bürgerprotest: Steinhof-Gestalten

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