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Rezension: Koppen und Vollmer – Architektur und psychosoziale Gesundheit im leistbaren Wohnbau


Als mich vor einiger Zeit eine E-Mail erreichte, in der ich um eine Rezension gebeten wurde, war ich überrascht – und beeindruckt. Es war das erste Mal, dass sich ein Verlagsleiter direkt an mich wandte: Dr. Wolfgang Pabst. Das hat mir gefallen. Besonders, weil es um ein Buch ging, dessen Autorinnen ich ein wenig persönlich kenne und die in der Architekturszene etwas ganz Besonderes sind. Tanja Vollmer, Psychologin, und Gemma Koppen, Architektin, haben in ihrem Büro „KopVol Architecture & Psychology“ einen interdisziplinären Ansatz entwickelt, bei dem sie Projekte von Anfang an gemeinsam und gleichberechtigt planen. Bei ihnen ist die Psychologie der Architektur gleichgestellt – ein Ansatz, der alles andere als selbstverständlich ist.

Gemeinsam verfolgen sie, wie auch in ihrem Buch beschrieben, einen „evidenzbasierten“ Ansatz, der eindrucksvoll zeigt, wie Architektur wirklich dem Menschen dienen kann. Mit ihrem Büro und diesem Buch schließen sie, zumindest im deutschsprachigen Raum, eine bedeutende Lücke: Sie machen die Psychologie als gleichwertige Disziplin in der Stadtentwicklung sichtbar – besonders bei der Planung und Gestaltung von öffentlichen Räumen.


Das Buch „Architektur und psychosoziale Gesundheit im leistbaren Wohnbau
“ von Gemma Koppen und Tanja Vollmer ist ein wegweisender Beitrag zur Verbindung von Architektur und Psychologie – eine Symbiose, die in der Planungspraxis noch viel zu selten eine gleichberechtigte Rolle spielt. Die Autorinnen stellen den Menschen als Maßstab für das Wohnen in den Mittelpunkt ihrer Forschung und zeigen, dass gesundes Wohnen aus der Balance von funktionalen, sozialen und psychischen Bedürfnissen entsteht. Ihre Arbeit basiert auf einer Vielzahl ihrer Studien, die genau diese Bedürfnisse systematisch erhoben haben. Für mich als Stadtpsychologin, die sich tagtäglich mit den Anforderungen urbaner Gemeinschaften befasst, ist dieses Buch ein inspirierendes Werk, das wichtige Impulse für die Planung lebendiger und gesunder Wohn- und Lebensräume gibt.

Der Mensch als Maßstab – Raumkonzepte für individuelle Bedürfnisse

Das zentrale Anliegen des Buches ist es, Raumkonzepte zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden – und zwar auf Basis fundierter empirischer Studien. Koppen und Vollmer machen deutlich, dass es bei der Gestaltung von Wohnräumen nicht allein um ästhetische oder bauliche Effizienz geht, sondern um die Frage, wie Räume psychisches Wohlbefinden fördern können. Die Autorinnen zeigen auf, dass das richtige Maß an Bedürfnisbefriedigung – sei es Rückzug, Kontakt, Partizipation oder Adaptivität – ausschlaggebend ist. Diese Herangehensweise ist besonders relevant, da sie nicht auf spekulativem Erfahrungswissen, sondern auf systematischen Erkenntnissen basiert.

Leistbarer Wohnbau – ein differenzierter Begriff

Der Untertitel des Buches, der „leistbaren Wohnbau“ hervorhebt, wirft in Österreich spezifische Fragen auf. In der österreichischen Terminologie entspricht dies dem sozialen Wohnbau, ein Konzept, das besonders in Wien eine lange Tradition hat und international häufig als positives Beispiel für einen funktionierenden, nicht rein kapitalistischen Wohnungsmarkt hervorgehoben wird. Während der Begriff in Deutschland stärker mit der Problematik des unbezahlbaren Wohnraums assoziiert wird, versteht man in Österreich unter „leistbarem Wohnbau“ Wohnformen, die speziell auf soziale Fairness und Zugänglichkeit abzielen. Diese Differenzierung ist im Buch gut nachvollziehbar, zeigt aber auch, wie stark lokale Rahmenbedingungen den Diskurs um Wohnen prägen.

Psychosoziale Gesundheit im leistbaren Wohnbau

Das Buch stellt überzeugend dar, dass Wohnen weit mehr ist als die Bereitstellung eines Dachs über dem Kopf. Es geht darum, Räume zu schaffen, die die psychosoziale Gesundheit ihrer Bewohner fördern. Besonders spannend sind die zahlreichen Fallstudien, in denen aufgezeigt wird, wie die Erkenntnisse aus Vorstudien konkret in die architektonische Praxis übersetzt werden. Die dargestellten Raumkonzepte verdeutlichen eindrucksvoll, wie spezifische architektonische Maßnahmen den Bedürfnissen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen gerecht werden können. Für Wien bietet das Buch wertvolle Impulse, die auch im lokalen Kontext direkt umsetzbar wären.
Ein großer Mehrwert des Buches liegt in der klaren Verbindung zwischen Forschung und Praxis. Die Autorinnen legen dar, wie sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse direkt in die Entwicklung von Wohnkonzepten einfließen lassen. Dabei geht es nicht um starre Modelle, sondern um flexible Ansätze, die sich an spezifischen sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen orientieren. Das Buch liefert damit nicht nur Architekten, sondern auch Stadtplanern und Entscheidungsträgern eine praktikable Grundlage, um resiliente und gesundheitsfördernde Lebensräume zu schaffen.


Ein Buch für Fachpersonen – wissenschaftlich fundiert, aber anspruchsvoll

Das Buch beeindruckt durch seinen hohen wissenschaftlichen Anspruch und die fundierte Verbindung von Planentwürfen mit statistisch untermauerten Erkenntnissen aus Psychologie und Architektur. Diese Herangehensweise verleiht den vorgestellten Raumkonzepten eine bemerkenswerte Tiefe, stellt jedoch auch eine Herausforderung für die Leserschaft dar. Die vorgestellten Konzepte basieren auf einer komplexen Verknüpfung psychologischer Studien, statistischer Analysen und architektonischer Planungsmethoden. Während Fachpersonen mit Hintergrundwissen in diesen Bereichen die Inhalte gut nachvollziehen können, könnten Leser*innen ohne tiefere Einblicke in Psychologie (insbesondere Statistik) oder Architektur Schwierigkeiten haben, die dargestellten Details in ihrer Gesamtheit zu erfassen.
Die wissenschaftliche Tiefe ist zweifellos ein Vorteil für Fachleute, macht das Buch jedoch weniger zugänglich für eine breitere Zielgruppe. Dies versuchen die Autorinnen durch die Verwendung anschaulicher Fotos und ansprechend gestalteter Skizzen zu den qualitativen Raumkonzepten abzufedern. Die visuellen Elemente sind gut ausgewählt und tragen dazu bei, die theoretischen Inhalte zu veranschaulichen, auch wenn der Charakter eines Fachbuches für eine spezialisierte Zielgruppe damit nicht vollständig aufgehoben wird.


Persönliche Perspektive als Stadtpsychologin

Für mich als Stadtpsychologin unterstreicht das Buch die Relevanz einer ganzheitlichen Planung, die den Menschen ins Zentrum rückt. Die dargestellten Raumkonzepte eröffnen neue Perspektiven für meine Arbeit, da sie die Bedeutung von Rückzugsräumen und sozialer Interaktion gleichermaßen adressieren – ein Spannungsfeld, das in der Stadtentwicklung oft vernachlässigt wird. Besonders beeindruckt – und zugleich bestätigt – hat mich die evidenzbasierte Herangehensweise, die zeigt, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Menschen vorab zu erheben, anstatt sie zu vermuten oder zu generalisieren. Dieses Vorgehen entspricht meiner eigenen Praxis in der Stadtpsychologie und unterstreicht die Stärke, die die Psychologie in Planung und Architektur einbringen kann. Indem systematische Erkenntnisse in die Gestaltung von Lebensräumen einfließen, wird eine Grundlage geschaffen, die über subjektive Annahmen hinausgeht und tatsächlich den Menschen in den Mittelpunkt stellt.


Fazit: Ein unverzichtbares Werk für die Wohn- und Stadtplanung

Gemma Koppen und Tanja Vollmer liefern mit ihrem Buch eine fundierte Grundlage für eine neue Art des Wohnens, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Sie zeigen, dass leistbarer Wohnbau nicht nur eine Frage der Kosten ist, sondern auch eine konzeptionelle Herausforderung, bei der die Bedürfnisse der Bewohner Priorität haben sollten. Das Buch bietet wertvolle Anregungen für alle, die an der Gestaltung von Lebensräumen beteiligt sind, und liefert zugleich wichtige Denkanstöße für eine menschenzentrierte und gesundheitsfördernde Stadtentwicklung.

Link zur Publikation: Architektur und psychosoziale Gesundheit im leistbaren Wohnbau


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