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Ohne euch gehts nicht! – Wie die Stadtgestaltung die Fortbewegung beeinflusst

Wienerinnen und Wiener gehen im Durchschnitt ca. 500 Meter pro Tag. Oft wird das Auto, anstelle des Fahrrads oder dem Zufußgehen, bevorzugt. Welche Voraussetzungen es für ein Umdenken oder sogar eine Verhaltensänderung, Richtung aktive Mobilität im Alltag, braucht erklären wir in diesem Beitrag.


Die Welt ist in Bewegung, wir sind in Bewegung. Weil Menschen sehr unterschiedlich leben, entstehen vielschichtige und komplexe Verhaltensweisen, auch was Fortbewegung betrifft. Das macht Mobilität aktuell zu einem der wichtigsten Themen, denn Menschen wollen nicht nur mobil sein, sie müssen es auch sein. Die größte Herausforderung ist es, den Anforderungen des Klimawandels gerecht zu werden und nachhaltige Mobilitätsformen zu verankern. Ein Ansatzpunkt dafür wäre, aktive Fortbewegung im Alltag zu fördern. Unter aktiver Mobilität versteht man die „(…) Fortbewegung mit Hilfe der eigenen Muskelkraft, also insbesondere Zufußgehen und Radfahren, aber auch das Fahren mit Tretrollern, Inlineskates oder Pedelecs“ (VCÖ Mobilität mit Zukunft, o.D.) und ein zentraler Faktor zum Erreichen dieses Ziels. Aber nicht nur wegen des Klimas ist nachhaltige Fortbewegung ein zentrales Thema.

Aktive Mobilität als Schlüssel zu Teilhabe und Unabhängigkeit

Die WHO stellt in einem ihrer Aktionspläne heraus, dass gesundheitspräventive Aspekte und Mobilität in einem Zusammenhang stehen. Deshalb wird vorgeschlagen Bewegung, u.a. durch geeignete Veränderungen der Umwelt, zu fördern, um nicht-infektiösen Krankheiten wie z.B. Muskel-Skelett-Erkrankungen, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Dadurch bleiben körperliche Funktion und somit individuelle Mobilität länger erhalten. Beide sind Voraussetzungen für Unabhängigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Die STADTpsychologie erkannte bei bisherigen Projekten zu aktiver Mobilität zwei wichtige Zielgruppen: Jugendliche und die sogenannten „Silver Ager“, das sind Personen ab dem 50. Lebensjahr. Wir haben das Projekt „WIR BEWEGEN WAS!“ evaluiert, wo Jugendliche Vorschläge für mehr unabhängige, gesunde und aktive Mobilität in ihrer Stadt, erarbeiten. In einem gemeinsamen Prozess mit Politik und Verwaltung wurden die Ideen diskutiert und anschließend umgesetzt. Das Projekt wurde an Jugendliche gerichtet, weil aktuelle Forschung gezeigt hat, dass sich ein aktiver Lebensstil in der Jugend, auch im höheren Alter gesundheitlich bezahlt macht.

Nicht nur für junge Menschen ist Mobilität und die Integration von Bewegung in den Alltag relevant. Auch Silver Ager, sind eine wichtige Gruppe, die beim Thema Mobilität berücksichtigt werden sollte. Cornelia Ehmayer-Rosinak hat das bei der Tagung „GreenSAM“ – Green Silver Age Mobility, die im September in Turku (Finnland) und virtuell stattgefunden hat, betont. Oft haben Jugendliche und Senior*innen nur wenig Möglichkeit zur Mitsprache. Diese beiden Projekte bedienen also gleich zwei wichtige Aspekte für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung –  Beteiligung und Ressourcenförderung. Bewohnerinnen und Bewohner sind, unabhängig ihres Alters, Experten was Schwierigkeiten und Potentiale ihrer Wohnumgebung betrifft. Darum ist es ein großer Vorteil sie in Prozesse der Organisation und Gestaltung miteinzubeziehen.

„Es gibt viele unterschiedliche Menschen, die ähnliche Probleme haben, im öffentlichen Raum zurechtzukommen, zum Beispiel bei zu engen Gehwegen.“

Wie sieht eine Umwelt aus, die aktive Mobilität fördert?

In einigen Wiener Bezirken hat das Auto noch immer einen hohen Stellenwert. Damit auch hier kurze Autofahrten durch Radfahren und Zufußgehen ersetzt werden, braucht es eine bewegungsfördernde Umwelt. Walkability beschreibt die Qualität der Lebensumgebung im Hinblick auf die Möglichkeit aktiver Fortbewegung.

Nach den fünf Kenngrößen von Ewing und Cervero (2010) gehen Menschen im Alltag mehr zu Fuß wenn:
1. der Verdichtungsgrad im öffentlichen Raum hoch ist, so dass Erledigungen häufiger zu Fuß gemacht werden.
2. der Zugang zu öffentlichen Räumen einfach und die Flächennutzung vielfältig ist
3. Straßen und Geh- bzw. Fahrradwege verfügbar und attraktiv gestaltet sind. Hier spielt auch der Aspekt Sicherheit, z.B. durch gute Beleuchtung der Wege, eine Rolle.
4. die Entfernungen zu wichtigen Zielpunkten des täglichen Lebens kurz sind.
5. die nächste Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs nicht weit entfernt ist

Eine Interviewte Person, die sehr aktiv Mobil ist, nannte weiters Verkehrsführungen die den „Fluss“ nicht aufhalten als förderlich wie z.B. Brücken oder Unterführungen, Ampeln seien eher hinderlich. Strecken mit Weitblick, viel Grün, oder auch schöne Architektur werden als positiv erlebt, dann könne man gut eigenen Gedanken nachhängen und es trete eine meditative, reinigende und entschleunigende Wirkung ein.

Besonders für Senior*innen und Kinder wurden, in Zeiten des Lockdowns, auch Toiletten im öffentlichen Raum immer wichtiger, da naheliegende Restaurants und Geschäfte geschlossen hatten. Ebenso gehöre zur „Bewegung in der Stadt“ unbedingt auch das „Verweilen in der Stadt“. Dafür braucht es (Sitz-) Plätze, die im besten Fall, von oder mit Bürger*innen gestaltet werden. Durch bauliche Gestaltung kann also schon einmal viel dafür getan werden, dass nachhaltige Fortbewegung attraktiver wird. Abgesehen davon sieht die STADTpsychologie eine funktionierende Nachbarschaft als wichtigen sozialen Faktor für aktive Mobilität und gleichzeitig als Quelle sozialer Unterstützung. Die Begleitung bei einem Spaziergang kann, für jemanden im höheren Alter, von großer Bedeutung sein. Sie gibt nicht nur Sicherheit beim gehen, sondern auch zwischenmenschliche Nähe.

Solche funktionierenden Nachbarschaften sind eine große Ressource. Sie können gestärkt werden, indem Nachbarschaftszentren eingerichtet werden, wo sich Bewohner*innen kennenlernen und z.B. gemeinsame Bewegungsaktionen in Gruppen geplant werden. Weiters motivieren Angebote wie z.B. Bewegungsspiele oder Mobilitätsparks zur Bewegung. „Street-points“ ist ein Spiel für Kinder und Familien, initiiert von der Wiener Mobilitätsagentur, das derzeit in den Bezirken Donaustadt und Liesing stattfindet. Ziel ist es den nächsten Check-Point zu Fuß zu erreichen und dort Punkte einzusammeln.

Die Mobilität der Menschen zeigt sich komplex. Vielfältige Wirkungen auf Umwelt und Gesundheit verdeutlichen das. Um negativen Auswirkungen vorzubeugen und positive Effekte zu stärken soll Fortbewegung durch Muskelkraft attraktiver gemacht werden. Dazu erfordert es eine wirksame Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen aus Bürger*innen, lokalen Akteuren, Stadtplanung und Verwaltung.“ Ziel soll es sein eine bewegungsfördernde Umwelt zu schaffen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Entfernungen im Bezirk eher kurz sind und Wege, aus unterschiedlichen Perspektiven, attraktiv gestaltet werden. Angebote zum Mitmachen steigern die Motivation und Nachbarschaftszentren könnten als Begegnungsstätte zum kennenlernen der Nachbarschaft funktionieren. Dadurch steigt nicht nur die aktive Bewegung, sondern es verbessert sich auch die gegenseitige soziale Unterstützung. Solche Maßnahmen haben großen Einfluss darauf, dass Verhaltensänderungen stattfinden und kürzere Strecken, anstelle mit dem Auto, zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden.

Wann sind Sie denn zuletzt durch ihr Grätzl spaziert?

Weiterführende Links:

  • Mehr zur Tagung GreenSAM finden Sie >>hier
  • Die Studie zu Entfernung und Dauer – „Zu Fuß gehen in Wien“ finden Sie >>hier
  • Informationen zur Wiener Mobilitätsagentur- Wien zu Fuß finden Sie >>hier

Quellen:

  • Ewing R.,  Cervero R.,  (2010). Travel and the Built Environment: A Meta-Analysis. Journal of the American Planning Association 76(3):265-294, DOI:10.1080/01944361003766766
  • Titze S., Ring-Dimitriou S., Schober P.H., Halbwachs C., Samitz G., Miko H.C., Lercher P., Stein K.V., Gäbler C., Bauer R., Gollner, E., Windhaber J., Bachl N., Dorner T .E., (2012). Arbeitsgruppe Körperliche Aktivität/ Bewegung/Sport der Österreichischen Gesellschaft für Public Health: Österreichische Empfehlungen für gesund- heitswirksame Bewegung. Band 8 – Reihe WISSEN. Wien: Gesundheit Österreich GmbH – GÖG, Geschäftsbereich Fonds Gesundes Österreich – FGÖ (Hg.). https://fgoe.org/sites/fgoe.org/files/2017-10/2012-10-17.pdf (aufgerufen am 19.10.2021)
  • World Health Organization, WHO (2006). Gesundheitsförderung durch Bewegung – ein Hand- lungsrahmen für die Europäische Region der WHO – Schritte zu einem körperlich aktiveren Euro- pa. WHO-Regionalbüro für Europa: Kopenhagen
  • World Health Organization, WHO (2016). Aktionsplan zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten in der Europäischen Region der WHO. Kopenhagen: WHO-Regionalbüro für Europa. https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0008/346328/NCD-ActionPlan-GB.pdf (aufgerufen am 19.10.2021)
  • VCÖ Mobilität mit Zukunft (o.D.). https://vcoe.at/service/fragen-und-antworten/aktive-mobilitaet (aufgerufen am 20.10.2021)

Fotocredits: Pixabay

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