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Gastbeitrag Petra Jens: „Cool ist, was verändert“

Es ist ein warmer Septembervormittag. Wir sitzen an einem gedeckten Kaffeetisch, die Anrainerinnen und Anrainer, die Vizebürgermeisterin und ihr Team. Gruppen von Kindergartenkindern ziehen vorbei – ihr Ziel ist der kleine Park um die Ecke, auf dem es vor lauter Kindern nur so wuselt. Wir befinden uns in einer schattigen Nebenfahrbahn der Börsegasse im ersten Bezirk, einer von 18 temporären Coolen Straßen. Kurz vor Ende des Sommers diskutieren wir hier mit Anfangs sehr kritischen Bürgerinnen und Bürgern die Coole Straße.

>> Video: Coole Straße

Im Sommer 2020 durften hier für drei Monate Autos weder fahren noch parken. Stattdessen gab es dort Sitzbänke, eine Sprühnebeldusche und einen betreuten Container mit Spielsachen zum Ausleihen. Die Straße diente als zusätzlicher öffentlicher Raum im Freien zum Aufhalten und Abkühlen.

Hintergrund dieser ungewöhnlichen Straßennutzung ist die Wiener Hitzekarte. Sie weist jene Orte in Wien aus, in denen es im Sommer besonders heiß wird und wo besonders viele Kinder und ältere Menschen leben. Sie sind von Hitze besonders stark betroffen und brauchen am ehesten kühle Orte in der Wohnumgebung. So ist die temporäre Coole Straße auch als Hitze-Sofortmaßnahme zu verstehen. Sie reicht aber noch weiter: Die Sommer in Wien werden in Zukunft immer heißer. Darauf reagiert die Stadtplanung – mit Baumpflanzungen im Straßenraum, mit zusätzlichen schattigen Aufenthaltsräumen. Das kostet (Park-)Platz und Geld: was es schwierig macht, für solche Vorhaben die notwendige Akzeptanz zu finden

International hat sich der Begriff „Tactical Urbanism“ als Ausweg aus diesem Dilemma etabliert. Damit ist das Ausprobieren neuer Straßensituationen gemeint. Bei Erfolg wird die Veränderung beibehalten und später durch Umbau in Stein gegossen. Bei Misserfolg wird die Idee verworfen, der Straßenraum ohne Verluste wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt. Diese Methode hat sich in vielen Städten durchgesetzt und leitet auf sanfte Weise Veränderungsprozesse ein. So ist die Idee der temporären Coolen Straßen nicht nur in Wien verwirklicht worden. Als „Summer streets“ in Bristol, „Sommerstraßen“ in München oder „Spielstraßen“ in Berlin bestehen vielerorts ähnliche Konzepte. In Zürich wird zurzeit darüber nachgedacht, solches im Jahr 2021 zu wagen.

Wann ist eine temporäre Maßnahme erfolgreich und woran lässt sich das feststellen? Die entscheidende Frage ist, ob es in Folge von zeitlich begrenzten Maßnahmen auch nachhaltig zu baulichen Veränderungen kommt. Über drei Monate lang wurde in den temporären Coolen Straßen Feedback gesammelt und dabei zeigt sich, dass jede der 18 temporären Coolen Straßen ihren eigenen Charakter entwickelt hat. Nicht nur Kinder nutzten den Platz zum Spielen und Toben, auch Erwachsene verbrachten ihre Mittagspause in der Coolen Straße, verlegten ihren Arbeitsplatz ins Freie oder trafen sich zum gemeinsamen Frühstück auf der Straße. An einigen Orten möchte man den gewonnenen Freiraum nicht mehr missen. Eine Wienweite Befragung zeigte außerdem: Dreiviertel aller Wienerinnen und Wiener kennen die Coolen Straßen inzwischen, und 59 Prozent halten sie für eine gute Idee.

Zurück zur Börsegasse. Bei der Eröffnung dieser temporären Coolen Straße, im Juni 2020, war die Aufregung groß.
Parkplatznot und nächtliche Ruhestörung waren befürchtet, und die Sinnhaftigkeit des Projektes heftig kritisiert worden. Es kam beinahe  zu Handgreiflichkeiten.
Inzwischen haben sich die Gemüter etwas beruhigt. Deshalb sitzen wir jetzt hier. Um die letzten Wochen noch einmal kritisch zu reflektieren. Eine Dame meint, es sei zwar manchmal abends laut geworden, aber nächtliche Ruhestörung hätte nicht stattgefunden. Eine Unternehmerin erzählt, sie wäre anfangs sehr skeptisch gewesen, die Kundschaft ihres Geschäfts hätte die Atmosphäre auf der Straße aber doch sehr genossen.

Drei Herren kritisieren wiederum, dass nur wenige Kinder tatsächlich auf der Straße gespielt hätten.
Viel sinnvoller sei es, meinen sie, richtige Bäume zu pflanzen und mehr Grünräume im Bezirk zu schaffen. Um Parkplätze sorgt sich kaum mehr wer, vielmehr diskutieren wir die Wasserversorgung von Stadtbäumen, verdunstungsfähige Straßenbeläge und dass man den um die Ecke liegenden Park endlich vergrößern sollte.

Wir gehen einigermaßen friedlich auseinander, zurück bleiben leere Kaffeetassen und ein paar Kipferlbrösel. Und der klar formulierte Auftrag, die Stadt endlich zu begrünen. So hat über die Monate doch noch ein Diskurswechsel stattgefunden.

Über die Autorin

Petra Jens ist die seit 2013 die erste FußgängerInnen-Beauftragte der Stadt Wien. Sie studierte an der BOKU, war als Bildungsreferentin bei der Evangelischen Diakonie tätig und setzt sich nun gemeinsam mit ihrem Team für die Anliegen der Wiener FußgängerInnen ein.

Weiterführende Links

Fotocredits: Mobilitätsagentur Wien / Christian Fürthner

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