BLOG

Foodsharing – Teil einer nachhaltigen Stadtentwicklung

Foodsharing trägt bereits seit geraumer Zeit dazu bei, dass sich viele Menschen mit Lebensmitteln versorgen und ein besseres Leben führen können, doch die diesjährige Inflation hat das Thema erneut in den Vordergrund des Bewusstseins vieler Leute gerückt. Foodsharing ist ein internationales Netzwerk, in dem sich Communities in Städten organisieren und Lebensmittel von Supermärkten und aus der Landwirtschaft retten und dann an bestimmte Orte bringen, wo sie jede Person kostenlos mitnehmen kann. Es geht bei der Initiative darum, weniger Lebensmittel zu verschwenden und Lebensmittelwertschätzung zu fördern. Diese Communities haben das Potential Städte durch mehr Teilhabe am öffentlichen Leben und Aneignung des öffentlichen Raumes resilienter zu machen.


Lebensmittelverschwendung

40% aller produzierten Lebensmittel weltweit werden nie gegessen. Der WWF (Worldwide Fund For Nature) hat deshalb am 26. Mai den Tag der Lebensmittelrettung ausgerufen. Dieser Tag markiert den Tag bis zu dem diese 40% niemals verbrauchten Lebensmittel theoretisch produziert wurden. In Österreich werden jährlich eine Million Tonnen an genießbaren Lebensmitteln weggeworfen, obwohl viel Menschen sich nicht genügend Lebensmittel leisten können.

Wien auf dem Weg zur Foodsharing-Stadt

In Wien gibt es seit 2003 eine eigene Foodsharing-Community. Diese Community hat bereits 170 Kooperationen mit Supermärkten und der Landwirtschaft. Die Lebensmittel werden durch 1700 Foodsaver von den Kooperationspartnern abgeholt und zu den Fairteilern gebracht. Neben den Foodsavern gibt es auch Privatpersonen, die übriggebliebene Lebensmittel abgeben. Damit Foodsharing allerdings großflächig und nachhaltig in einer Stadt umgesetzt werden kann, ist eine Zusammenarbeit mit und Unterstützung von lokalpolitischen Akteur*innen und anderen Initiativen unerlässlich. Im März 2020 hat ein runder Tisch mit dem ökosozialen Forum, dem Wiener Hilfswerk, Foodsharing, der MA 22 – Umwelt, der MA 59 – Marktamt, dem Neunerhaus und der Wiener Tafel stattgefunden, um diese Zusammenarbeit zu gestalten. Aus dieser Zusammenarbeit ist auch die Broschüre „Tipps und Möglichkeiten der Lebensmittelweitergabe in Wien“ entstanden. In diesem Artikel soll nicht die gesamte Arbeit, die hinter der Initiative Foodharing steckt, beleuchtet werden, sondern ein besonderes Augenmerk auf die Fairteiler gelegt werden.

Fairteiler als Orte der Aneignung und des Zusammenkommens

Fairteiler sind die zu Beginn genannten Orte, an denen die Lebensmittel gelagert und geteilt werden. In Wien gibt es 27 Fairteiler. Eine Liste mit den genauen Standorten ist hier abrufbar. Die Fairteiler haben mehrere positive Auswirkungen auf die Entwicklung einer Stadt:

1. Teilhabe am öffentlichen Leben für alle
Menschen können Geld sparen, das sie sonst für Essen ausgeben müssten. Mit diesem Geld können sie dann andere wichtige Dinge bezahlen und am öffentlichen Leben teilhaben. Die Standorte der Fairteiler sind teilweise an Konsumorten, die zu Freizeitaktivitäten einladen und teilweise an öffentlichen Orten, die vollkommen konsumfrei sind, angesiedelt. Fairteiler sind beispielsweise bei der Boulderbar Hannovergasse, in der Bar Jetzt, am St.-Elisabeth-Platz oder in vielen Volkshochschulen. Um sich Lebensmittel mitzunehmen, gibt es keine Voraussetzungen, die man erfüllen muss. Dadurch, dass die Fairteiler quer in der gesamten Stadt verteilt sind, kommt es auch nicht zu Verdrängungen, sondern die Menschen werden in ihrer unmittelbaren Umgebung unterstützt und es wird das Gefühl vermittelt, dass der öffentliche Raum für alle da ist.

2. Aneignung des öffentlichen Raumes und damit einhergehend ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zur Stadt

Bei Aneignungsprozessen stehen Mensch und Umwelt in einer interaktiven Beziehung. Die Menschen, die Foodsaver sind oder privat Lebensmittel in die Fairteiler bringen, erleben sich als aktiv handelnde Person, die ihre Umwelt beeinflusst und eignen sich so ihre Umgebung an. Durch diesen Prozess entstehen Gefühle des Wohlbefindens und der Identifikation, welche dem Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit entgegenwirken (Flade, 2008 & Peterschelka, 1999). Gerade in Krisen ist es wichtig Gefühlen der Ohnmacht entgegenzuwirken und Strukturen der gegenseitigen Unterstützung auszubauen.

3. Aufbau von sozialen Netzwerken und einer guten Nachbarschaft
Fairteiler können auch als „social networkers“ gesehen werden, weil sie mit ihrer Arbeit zu einer guten Nachbarschaft beitragen. Soziale Netzwerke sind lebensnotwendig für Menschen und Fairteiler sind Orte, an denen Menschen aufeinandertreffen und sich unterhalten können. Durch die gemeinsame Nutzung der Fairteiler haben die Menschen ein erstes gemeinsames Interesse, was den Aufbau einer Beziehung fördert. Durch die positive Interaktion entsteht eine emotionale Verbindung zu dem Ort und ein Gefühl der Sicherheit, wodurch die Zugehörigkeit zur Stadt wieder gestärkt wird. Gerade in Belastungssituationen merken wir, wie wichtig soziale Netzwerke sind, um die Belastungen bewältigen zu können. Es geht dabei um emotionale Unterstützung, aber auch um wertvolle Ressourcen, die im sozialen Netzwerk geteilt werden (Keupp, 2006; Keupp & Röhrle, 1987).

Foodsharing zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie Projekte, bei denen Menschen zusammenkommen, sowohl gut für die Stadt als auch für die Umwelt sein können. Nichtsdestotrotz können diese großen Probleme nicht nur durch ehrenamtliche Initiativen gelöst werden, sondern müssen durch politische Entscheidungen ergänzt werden, um zugrundeliegende strukturelle Probleme lösen zu können.

Hürden auf dem Weg zu weniger Lebensmittelverschwendung sind unter anderem Gesetze, die dazu verpflichten Lebensmittel, die nicht die richtige Größe oder Form haben, zu entsorgen. Frankreich versucht seit 2015 die Weitergabe von Lebensmitteln von Supermärkten durch ein Gesetz zu fördern. Dieses Gesetz verpflichtet größere Supermärkte dazu Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden an Wohlfahrtsorganisationen, als Tierfutter oder als Kompost für die Landwirtschaft weiterzugeben. Neben großen Mengen weggeworfener Lebensmittel, ist die Politik aber auch mit dem Problem hoher Lebensmittelpreise konfrontiert. Leistbare Lebensmittel gewährleisten die Teilhabe am öffentlichen Leben.

Fairteiler sind dennoch ein wichtiger Schritt in die Richtung einer gesellschaftlichen Veränderung, indem sie den Aufbau sozialer Netzwerke, die Aneignung des öffentlichen Raumes und Teilhabe am öffentlichen Leben fördern und ermöglichen. In der Gemeindepsychologie werden soziale Netzwerke und Partizipation schon lange als sinnvolle Handlungsansätze und Lösungsmöglichkeiten für gesellschaftliche Probleme betrachtet. Netzwerke können Ausgrenzung entgegenwirken und Ressourcen umverteilen, sodass alle Menschen am öffentlichen Leben teilhaben können. Durch ein funktionierendes Gemeinwesen und soziale Unterstützung wird also nicht nur einzelnen Menschen geholfen, sondern es wird auch die Resilienz der Stadt gestärkt (Flade, 2008; Keupp, 2006; Keupp & Röhrl, 1987; Stark, 1996).


Weiterführende Links:

Quellen:

  • Ehmayer, C. (2014): Die Aktivierende Stadtdiagnose als eine besondere Form der Organisationsdiagnose: Ein umwelt- und gemeindepsychologischer Beitrag für eine nachhaltige Stadt- und Gemeindeentwicklung. Hamburg: disserta
  • Flade, A. (2008). Architektur psychologisch betrachtet. Bern: Huber.
  • Keupp, H. & Röhrle, B. (Hrsg.) (1987). Soziale Netzwerke. Frankfurt/Main: Campus.
  • Keupp, H. (2006). Patchworkidentität–riskante Chancen bei prekären Ressourcen. In: Hartmut Neuendorff und Bernd Ott (Hg.): Neue Erwerbsbiografien und berufsbiografische Diskontinuität: Identitäts-und Kompetenzentwicklung in entgrenzten Arbeitsformen, 1, 24-51.
  • Stark, W. (1996). Empowerment. Neue Handlungskompetenzen in der psychosozialen Praxis. München: Lambertus

Fotos: ©STADTpsychologie

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert