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Eine Stadt für alle: Gender-Mainstreaming in der Stadtentwicklung

Städte sind Lebensräume voller Möglichkeiten und Begegnungen, doch erleben alle Menschen sie gleichermaßen als sichere und lebenswerte Umgebungen? Die Realität zeigt, dass urbane Räume oft nach den Bedürfnissen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen gestaltet wurden. Dies kann dazu führen, dass sich manche Menschen in einer Stadt weniger sicher oder willkommen fühlen als andere. Genau hier setzt Gender-Mainstreaming an. Dieser Ansatz fordert, die Perspektiven aller Geschlechter konsequent in die Stadtentwicklung einzubinden. Aber was bedeutet das genau, und wie können wir Städte schaffen, in denen sich wirklich alle wohlfühlen?

 

Was ist Gender-Mainstreaming?

Gender-Mainstreaming ist eine Strategie, um Geschlechtergerechtigkeit in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen zu verankern. Die Wurzeln liegen in feministischen Bewegungen und Gleichstellungspolitiken, die seit Jahrzehnten für eine gerechtere Welt kämpfen (erwachsenenbildung.at, o. D.). Der Grundgedanke: Unterschiedliche Lebensrealitäten sollen in Planungsprozesse integriert werden, um eine gerechtere und inklusivere Stadtgestaltung zu ermöglichen.

Traditionell wurde Stadtplanung von männlich geprägten Perspektiven dominiert. Das zeigt sich in kleinen und großen Entscheidungen, die den Alltag vieler Menschen erschweren oder Personen sogar ausschließen. Beispielsweise zeigt sich, dass Frauen häufiger zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen, während Männer mehr mit dem Auto unterwegs sind (Petzold, 2023). Trotzdem wurde in vielen Städten die Infrastruktur überwiegend für Autos optimiert, was den Bedürfnissen vieler Frauen nicht gerecht wird. Ein weiteres Beispiel: In Städten fließen Fördermittel oft in Projekte wie Skateparks oder Fußballplätze, die traditionell von männlichen Jugendlichen dominiert werden. Mädchen oder nicht-binäre Jugendliche ziehen sich häufig zurück, weil sie sich in solchen Räumen nicht sicher oder willkommen fühlen.

Eine mögliche Gegenmaßnahme zu dieser Thematik findet man beispielsweise in der Stadt Umeå in Schweden. Auch hier hat man festgestellt, dass Mädchen ab etwa 13 oder 14 Jahren Freizeit-, Spiel- und Sportplätze seltener nutzen, während Jungen diese oft bis ins Erwachsenenalter besuchen. Die Beobachtungen wurden auf soziale Normen zurückgeführt, da Mädchen eher zu Betreuungsaufgaben oder schulischen Aktivitäten ermutigt werden, während Jungen ihre Energie draußen ausleben sollen. Die Stadt Umeå führte daraufhin spezielle Tage ein, an denen Fußballplätze ausschließlich Mädchen vorbehalten sind. Die Initiative führte dazu, dass sich immer mehr Mädchen für Fußball begeisterten – heute sind auf den Fußballplätzen nahezu gleichviele weibliche wie männliche Fußballspieler*innen vorzufinden (Petzold, 2023).

Auch in der Stadt Wien gibt es viele Positivbeispiele dafür, was Gender-Mainstreaming alles leisten kann. Bereits 1999 wurde mit der Umgestaltung des Einsiedlerplatzes und des Bruno-Kreisky-Parks im 5. Bezirk, geschlechtersensible Parkgestaltung initiiert. In beiden Projekten lag das Hauptaugenmerk auf der Ermöglichung von Spiel- und Bewegungsformen, die von Mädchen bevorzugt werden. Das Ziel lag darin, durch innovative Gestaltungsvorschläge, die gemeinsame Aneignung des öffentlichen Raums zu unterstützen (wien.gv, 2015).

Wie sieht eine gendergerechte Stadt also aus?

Eine gendergerechte Stadt erkennt die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Gruppen an und setzt sie in der Planung um. Dazu gehören unter anderem:

Sichere und inklusive Räume

Dunkle Gassen, schlecht beleuchtete Parks oder isolierte Unterführungen – solche sogenannten Angsträume betreffen viele, insbesondere Frauen und marginalisierte Gruppen. Sie vermitteln Unsicherheit und schränken die Freiheit der Betroffenen ein. Gender-Mainstreaming bietet klare Ansätze, um solche Räume zu entschärfen. Maßnahmen wie gute Beleuchtung, offene Sichtachsen und stärkere soziale Kontrolle machen Städte sicherer und einladender. Doch Sicherheit ist nur ein Teil der Gleichung: Gendersensible Stadtentwicklung berücksichtigt auch Aspekte wie barrierefreie Wege, kinderfreundliche Plätze oder Wohnraum, der verschiedene Lebensentwürfe unterstützt.

Bedarfsgerechte Infrastruktur

Grünflächen, Spielplätze und Freizeitangebote sollten so gestaltet sein, dass sie für Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen nutzbar sind. Ein gutes Beispiel dafür ist das „Grüne Band“, eine Initiative der Stadt Wien, die auch von der STADTpsychologie begleitet wurde. Ziel des Projektes war es die Artenvielfalt in den städtischen Grünflächen Wiens zu fördern und gleichzeitig die Vernetzung von Parks und Naturflächen zu verbessern. Bei der partizipativen Planung wurde im Sinne gendersensibler Stadtplanung speziell auf die Inklusion von Frauen und weiblichen Personen geachtet, damit deren Bedürfnisse auch tatsächlich in die Umsetzung des Projekts miteinfließen konnten.

Wie kann Gender-Mainstreaming erfolgreich umgesetzt werden?

Gerechte Städte entstehen nicht in einer isolierten Planungsblase, sondern durch die Zusammenarbeit und das Einbeziehen der Menschen, die in ihnen leben. Gelungenes Gender-Mainstreaming setzt auf Partizipation. Nur, wenn alle Gruppen ihre Bedürfnisse einbringen können, entstehen Lösungen, die tatsächlich inklusiv sind. Frauen, queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen müssen aktiv in Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um sicherzustellen, dass urbane Räume für alle funktionieren. Hier ist es wichtig, das Erleben und Verhalten von Menschen in unterschiedlichen städtischen Kontexten zu verstehen. Faktoren wie Sicherheit, soziale Interaktion und Zugänglichkeit sind nicht nur planerische Herausforderungen, sondern betreffen direkt das Wohlbefinden der Stadtbewohner*innen. Diese Erkenntnisse fließen immer stärker in gendersensible Planungsprozesse ein und zeigen, wie psychologische Perspektiven das Verständnis für die Bedürfnisse verschiedener Gruppen vertiefen können. Die STADTpsychologie sitzt somit an der perfekten Schnittstelle, um gendersensible Stadtplanung durch Partizipation und wichtige psychologische Erkenntnisse zu bereichern.

ABER….
Frauen sind in partizipativen Stadtentwicklungsprojekten oftmals überrepräsentiert. Allerdings werden ihre Bedürfnisse nicht immer in den endgültigen Planungen berücksichtigt. Hier zeigt sich also ein spannendes Paradox. Ein Grund für dieses gegensätzliche Verhältnis ist, dass Städte historisch überwiegend von Männern für Männer geplant wurden, wodurch die spezifischen Anforderungen von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen häufig unberücksichtigt blieben und es in bereits bestehender Infrastruktur nach wie vor sind. Zudem können bestehende soziale Normen und Rollenbilder dazu führen, dass die Anliegen von Frauen, queeren Personen und weiteren Minderheiten in Planungsprozessen weniger Gewicht erhalten (Wir-Frauen, 2014). Die Notwendigkeit von Gender Mainstreaming ergibt sich also aus der Erkenntnis, dass bloße Beteiligung nicht ausreicht. Es bedarf einer bewussten und strukturierten Herangehensweise, um sicherzustellen, dass die vielfältigen Bedürfnisse und Perspektiven tatsächlich in die Stadtplanung einfließen und bestehende Ungleichheiten abgebaut werden.

AUSSERDEM…
Obwohl der Begriff „Gender Mainstreaming“ darauf abzielt, die Gleichstellung aller Geschlechter zu fördern, liegt der Fokus in der Praxis häufig auf der Beseitigung von Benachteiligungen von Frauen gegenüber Männern. Dies resultiert aus historischen Ungleichheiten und der traditionellen binären Geschlechterordnung, die lange Zeit die gesellschaftlichen Strukturen geprägt haben. Nicht-binäre und andere geschlechtliche Identitäten wurden und werden dabei oft übersehen oder nicht ausreichend berücksichtigt. Notwendigerweise gilt das auch für diesen Artikel, da er sich maßgeblich auf bereits bestehende Literatur und Projekte stützt, die ebenso in einer binären Geschlechterlogik (männlich/weiblich) gedacht wurden und somit zu kurz greifen. Zusätzlich ist es aktuell noch schwierig, auf solch bestehende Lücken in der Stadtentwicklung hinzuweisen, da auch Forschungsliteratur zu Stadtentwicklungsprozessen außerhalb der binären Geschlechterlogik rar ist. Für die Zukunft sind also Projekte in der Forschung und auch in der Praxis gefragt, die nicht nur den Anspruch haben, für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Stadtentwicklung einzutreten, sondern die ebenso darauf achten, binäre Rollenbilder aufzubrechen und diese nicht erneut zu reproduzieren.

Gendergerechte Städte sind resiliente Städte

Abschließend sollte nochmals festgehalten werden: Gendersensible Stadtentwicklung ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Städte, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen, sind nicht nur gerechter, sondern auch resilienter. Wer Sicherheit, Teilhabe und Lebensqualität fördert, stärkt das soziale Gefüge (speziell im öffentlichen Raum), und schafft Orte, an denen alle Menschen aktiv am öffentlichen Leben teilnehmen können und wollen. Gender-Mainstreaming ist also kein Selbstzweck, sondern ein Schlüssel für lebenswerte und resiliente Städte der Zukunft. Es geht nicht nur darum, bestehende Ungerechtigkeiten auszugleichen, sondern darum, Räume neu zu denken – als Orte, die Vielfalt nicht nur akzeptieren, sondern aktiv fördern. So entstehen Städte, in denen sich wirklich alle zuhause fühlen können.

 

Dieser Artikel wurde verfasst von: Julia Hobiger


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