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Der Praterstern im Spannungsfeld von Verweilen und Bewegung

Die STADTpsychologie hat sich eingehend mit dem Praterstern beschäftigt. Wir starteten Anfang Mai mit einem Empirischen Spaziergang als die Bauarbeiten noch im Gange waren. Nach dem Ende der Bauzeit interessierte uns, wie der neue Platz nun auf uns wirkt. Deshalb besuchten wir ihn im September ein zweites Mal und ließen die Veränderungen auf uns wirken. Die gesammelten Eindrücke haben wir hier zusammengefasst.


Das Wesen Praterstern im Mai

Es war Mai, das Wetter gut und viele Menschen unterwegs. Am Praterstern angekommen ließen wir uns zunächst gedanklich auf den Ort ein. Die erste Frage mit der wir uns beschäftigen war:

Was wissen wir bereits über den Praterstern und was macht diesen Ort für uns interessant?

Der Praterstern in Leopoldstadt, dem zweiten Wiener Gemeindebezirk, ist ein hochfrequentierter Verkehrsknotenpunkt. Rad- und Fußwege, sowie mehrspurige Straßen prägen das Bild des Ortes. Durch den Zusammenlauf von sieben Straßen erhält er seine Form und seinen Namen – den Stern. Unmittelbar daneben befindet sich der grüne Prater. Der Park bildet einen starken Kontrast zur sonst sehr beton- und autolastigen Zone. Wir wissen, dass es seit einiger Zeit ein Verbot für Alkoholkonsum vor Ort gibt. Die langen Öffnungszeiten der Geschäfte im Bahnhof waren uns ebenfalls bekannt.
Der Praterstern als zentraler Verkehrsknoten, an dem vielfältige öffentliche Verkehrsmittel, wie Bahnen, Busse und Straßenbahnen, verfügbar sind, erscheint uns wichtig. Zudem gibt es in unmittelbarer Umgebung attraktive Freizeitangebote, wie den Vergnügungspark, Nachtclubs oder die Parkanlage, die besonders zum Spazieren oder zum Sporteln einlädt. Diese verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass viele verschiedene Menschen, mit unterschiedlichen Interessen, den Praterstern als Ort nutzen, sodass dies zu einem erhöhten Konfliktpotential beitragen kann.

Nachdem wir gedanklich und bewusst an diesem Ort angekommen waren, lernten wir ihn besser kennen, indem wir ihn zunächst mit dem Fahrrad einmal überquerten und dann zu Fuß über den Bahnhofsvorplatz, an den Baustellen vorbei, hin zum Tegethoff-Denkmal gingen.

Sehen. Riechen. Hören. Fühlen. Das Wesen des Ortes systematisch erfassen

Das „Wesen“ des Pratersterns ist nicht schwer zu erkennen. Seine Funktion als Transitort sticht besonders hervor. Menschen gehen zu Fuß zum Bahnhofsgebäude oder zum Park, oder überqueren den Platz mit dem Fahrrad. Drumherum: viele Autos. Das Bahnhofsgebäude teilt den Platz irgendwie entzwei. Nur wenige Menschen sitzen oder verweilen hier, es sei denn sie warten auf das nächste Verkehrsmittel. Die Hauptnutzung liegt also in der Überquerung des Platzes und das macht den Praterstern aus.

Insgesamt erscheint der Praterstern sehr ambivalent. Einerseits bietet der ringsherum verlaufende Fahrradweg eine attraktive Möglichkeit zur aktiven Mobilität, andererseits erschweren kurze Ampelschaltungen das zügige Vorankommen, was ihn als effektive Rad-Route wieder unattraktiv macht. Durch gute Anbindungen an öffentliche Verkehrsmittel und lange Öffnungszeiten der Geschäfte, bietet der Praterstern alles was man auf (Durch-)Reisen braucht. Es herrscht viel Bewegung und dadurch ist es sehr laut. Allerdings ist der Platz gut geeignet für Leute, die gerne beobachten. Wer allerdings Ruhe sucht, geht wohl besser direkt in den Park nach nebenan.

Der Praterstern steht vor der schwierigen Aufgabe, das Spannungsfeld zwischen langsamen Verweilen und schneller Bewegung zu bewältigen.

Die Treppen zum Tegethoff-Denkmal bieten eine kleine Erhöhung und man bekommt von hier aus einen guten Überblick über das Geschehen. Allerdings hinsetzen wollten wir uns hier nicht. Wir sehen das Riesenrad, die schöne Baum-Allee der Praterstraße, das einzigartige Dach des Bahnhofsvorplatzes und dazwischen viele Menschen und Fahrzeuge. Auch die Baustellen sind zu sehen und zu hören. Was uns sonst noch auffällt: volle Mülleimer. Das ist wohl auch ein Zeichen, dass hier viele Menschen vorbeikommen – und Spuren hinterlassen. Wir bemerken auch, dass zwischenmenschliche Kontakte und Interaktionen an diesem Ort eher gering, bzw. hauptsächlich zweckdienlich sind.

Woran erinnert dieser Ort? Was verbinden wir damit? Was würden wir hier gerne (nicht) tun?

Der Ort ist laut und löst Stress aus. Das empfinden wir als unangenehm. Die vielen und schnellen Bewegungen lassen eine Angespanntheit entstehen, wodurch es schwer fällt an diesem Platz losgelöst zu verweilen. Viele Menschen kommen hier tagtäglich vorbei, man könnte sagen, dass er praktisch niemals still steht. Die Hitze lässt uns spüren, wie sehr man hier den Wetter-Bedingungen ausgesetzt ist. Es gibt keinen wirklichen Zufluchtsort. Zum Zeitpunkt unseres Empirischen Stadtspaziergangs wurde der Praterstern gerade umgebaut und befand sich, genau wie die Menschen die hier anzutreffen sind, in einer Art Übergangsphase.
Wir verbinden mit dem Praterstern aber nicht nur negative Gedanken. Gut angebunden an die öffentlichen Verkehrsmittel ist der Platz wegen seiner Übersichtlichkeit und markanten Bauten, die gute Orientierung bieten, ein guter Treffpunkt für Gruppen. Fehlt es noch an irgendetwas, kann man es noch schnell einkaufen. Und dann kann es auch schon weiter gehen in den Prater, um sich hier entspannt zu unterhalten oder zu verweilen.

Was würden wir ändern?

Bereits im Mai wünschten wir uns den Praterstern ohne Baustellen, das würde wieder mehr Ruhe und begehbare Flächen schaffen. Der Verkehrslärm bleibt wohl bestehen, solange der Platz ein Hauptverkehrsknoten in Wien ist und wir werden weiter von einer autofreien Stadt träumen. Weiters wünschten wir uns Mikrofreiräume, die zum verweilen einladen, während der Wartezeiten auf die Bahn oder Busse oder Freunde. Trotzdem erkannten wir, dass die Funktion des Pratersterns, als Transitort, beibehalten werden muss. Vielleicht gibt es aber auch hier die Möglichkeit die Querungen für Radfahrende und zu-Fuß-Gehende zu erleichtern und aktive Mobilität zu priorisieren.

Das Wesen Praterstern nach dem Umbau im September

Die Bauarbeiten sind größtenteils abgeschlossen. Neu sind eine Fontäne, die wie ein Miniatur-Praterstern aussieht und kühlende Nebelsprüher, welche die Atmosphäre des gesamten Platzes in wenigen Minuten verwandeln. Drumherum sind Grünoasen mit Bäumen und Sitzgelegenheiten hinzugekommen. Trotzdem: der Verkehrslärm hat sich nicht verändert und der Praterstern ist natürlich weiterhin ein Transitpunkt.

Allerdings ist es nun möglich sich angenehmer, für eine längere Zeit, dort aufzuhalten: mit Schatten, mit Grün, mit Sitzmöglichkeiten und mit weniger Stress. Die Menschen zeigen das, es sind Eltern mit Kindern bei den Wasserspielen zu sehen, auf den Grünflächen liest jemand, andere unterhalten sich.

Jetzt, nach dem kürzlich abgeschlossenen Umbau, wirkt der Praterstern deutlich einladender als Aufenthaltsort und als Erholungsraum für zwischendurch.

Trotzdem ist der Ort stark geprägt von Bewegung und bleibt, aufgrund seiner guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, ein wichtiger Transitort für viele Menschen mit unterschiedlichen Zielen. Der Empirische Stadtspaziergang (ESP) ist eine Methode, mit der Orte systematisch erfasst werden können. Dadurch werden wesentliche Informationen über die soziale Bedeutung des öffentlichen Raumes gewonnen.

Sie wollen einen Empirischen Spaziergang selber machen? Eine Anleitung dazu gibt es >> hier. 

Quellen:

  • Ehmayer, C. (2014): Die Aktivierende Stadtdiagnose als eine besondere Form der Organisationsdiagnose: Ein umwelt- und gemeindepsychologischer Beitrag für eine nachhaltige Stadt- und Gemeindeentwicklung. Hamburg: disserta

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