
Die 10 Merkmale Echter Partizipation
Partizipation ist keine Selbstverständlichkeit. Damit sie gelingt, muss sie sorgfältig geplant, gut durchdacht und professionell umgesetzt werden. Ein Beteiligungsverfahren, das überstürzt oder unter ungünstigen Rahmenbedingungen startet, ist oft zum Scheitern verurteilt. Die Folge sind Frustration und Enttäuschung unter den Beteiligten – Gefühle, die durch eine fundierte Vorbereitung und klare Strukturen vermeidbar wären.
Obwohl es bereits verschiedene Ansätze gibt, um Richtlinien für Partizipation festzulegen, fehlt bislang ein einheitlicher Standard. In Wien gibt es beispielsweise den “Masterplan Partizipation”, der den frühzeitigen und strukturierten Dialog zwischen Bevölkerung, Politik, Verwaltung und Projektwerbenden bei städtebaulichen Vorhaben definiert. Auch Graz hat eigene Leitlinien für die Bürger*innenbeteiligung. Auf Bundesebene existieren zudem Empfehlungen, wie etwa die “Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung” aus dem Jahr 2008 oder das “Grünbuch zur Partizipation im digitalen Zeitalter” von 2020. Hinzu kommen zahlreiche weitere Qualitätskriterien, die von Fördergebern, Fachrichtungen und Netzwerken entwickelt wurden.
Um stets am Puls der aktuellen Entwicklungen zu bleiben, ist die STADTpsychologie beispielsweise Mitglied im Deutschen Fachverband Bürgerbeteiligung (Stand 2025). Der fachliche Austausch mit Expert*innen und die kontinuierliche Weiterentwicklung von Methoden sind essenziell, um eine hohe Qualität in Beteiligungsverfahren sicherzustellen.
Wir begrüßen all diese Ansätze und halten sie für äußerst wertvoll – dennoch stellen wir fest, dass viele Beteiligungsverfahren nicht den notwendigen qualitativen Anforderungen entsprechen. Häufig fehlt es an Transparenz, Verbindlichkeit oder echter Mitgestaltungsmöglichkeit. Fehlende Rückkopplung oder unklare Zielsetzungen führen dazu, dass Beteiligung eher symbolisch bleibt, anstatt einen tatsächlichen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen.
Aus diesem Grund haben wir die “10 Merkmale der echten Partizipation” formuliert, die als Orientierungshilfe für eine qualitativ hochwertige Beteiligung dienen sollen. Sie definieren die zentralen Gütekriterien, an denen wir uns in unserer eigenen Arbeit stets orientieren und die dazu beitragen, Partizipation nicht nur als Prozess, sondern als wertvollen und wirkungsvollen Bestandteil demokratischer Entscheidungsfindung zu etablieren.
Partizipation Checkliste
Basierend auf den weiter unten genannten Merkmalen haben wir eine Checkliste in der Form eines Fragebogens entworfen, die veranschaulicht, wann es sich bei einem Beteiligungsprozess um gelungene Partizipation handelt. Erst wenn alle genannten Kriterien erfüllt sind, kann man von gelungener Partizipation sprechen.
Wird im Rahmen der Partizipation nicht nur nach außen berichtet, sondern findet Kommunikation in beide Richtungen statt?
Findet die Partizipation mehrmals statt?
Ist das Ziel, dass sich die Meinungen der Teilnehmer*innen in eine vorgeschrieben Richtung wandeln sollen?
Haben Teilnehmer*innen die Möglichkeit ihre eigenen Themen einzubringen und Schwerpunkte zu setzen, anstatt nur auf vorgegebene Frage zu antworten?
Können Teilnehmer*innen durch ihre Partizipation das Resultat signifikant beeinflussen?
Ist die Partizipation nützlich und können Teilnehmer*innen durch ihre Partizipation einen tatsächlichen Mehrwert generieren und momentane Verhältnisse verbessern?
Sollte eines der Gütekriterien nicht erfüllt sein, handelt es sich um misslungene Partizipation und je nachdem welche Bedingung nicht erfüllt wird, handelt es sich um eine andere Form der misslungenen Partizipation.
Anzumerken gilt auch: Je mehr Fragen mit „ja“ beantwortet werden können, desto schwieriger ist es, diese Form der misslungenen Partizipation zu erkennen und von echter Partizipation zu unterscheiden. Die Checkliste soll also sowohl über echte Partizipation aufklären, als auch darüber informieren, wie versteckte misslungene Partizipation leichter erkannt werden kann.
Die unterschiedlichen Arten der misslungenen Partizipation können auch über folgendem Link eingesehen werden: Misslungene Partizipation – Antworten der Checkliste
Die 10 Merkmale Echter Partizipation:
1. Echte Partizipation erfordert vielfältige Dialogangebote über einen längeren Zeitraum.
Dies gibt den Betroffenen die Möglichkeit zu reflektieren, unterschiedliche Perspektiven auszutauschen und dadurch neue Sichtweisen sowie ein vertieftes Verständnis zu entwickeln. Partizipation ist mehr als die einseitige Weitergabe von Informationen und es muss die Möglichkeit des gegenseitigen Dialogs geben.
2. Echte Partizipation geht über einen Fragebogen hinaus.
Fragebögen können Teil eines partizipativen Prozesses sein, doch dürfen nicht als alleinige Methode angewendet werden. Es fällt auf, dass andere Methoden in der Praxis oft unberücksichtigt bleiben und damit die Qualität des Beteiligungsangebots in Frage gestellt wird. Qualitative Methoden und offene Fragen dürfen daher nicht der Einfachheit halber, simplen Fragebögen und punktuellen Erhebungen mit vorgegebenen Antwortkategorien weichen.
3. Echte Partizipation lässt stets einen Entscheidungsspielraum offen.
Sie darf nicht missbräuchlich als Legitimation von vergangenen Entscheidungen eingesetzt werden.
4. Echte Partizipation braucht genügend Zeit und Vorbereitung.
Da bei nicht ausreichender Zeit, die anderen Qualitätskriterien echter Partizipation nicht gewährleistet werden können, ist Ad-Hoc Partizipation als missbräuchlich zu werten.
5. Echte Partizipation kann nicht einmalig erfolgen.
Teilnehmende werden in einem kommunikativen Prozess immer wieder eingebunden, oder zumindest rechtzeitig und ausführlich über die Ergebnisse der Partizipation aufgeklärt. Ein partizipatives Verfahren ist mehr als ein Event.
6. Echte Partizipation muss befähigen, nicht nur beteiligen.
Befähigen bedeutet, dass Teilnehmer*innen das Wissen und die Fähigkeit vermittelt bekommen, sich in die zukünftige Entwicklung des Themas einbringen zu können. Ähnlich dem Empowerment lernen Personen somit, wie sie selbstständig oder als Kollektiv Veränderungen herbeiführen können.
7. Echte Partizipation ist nützlich.
Sie soll einen positiven und nützlichen Beitrag zur gegebenen Entwicklung beitragen. Unterhaltungsangebote, die keine signifikanten Änderungen anstreben (so genanntes „Particitainment“) sind als missbräuchlich zu werten.
8. Echte Partizipation ist inklusiv und strebt nach Diversität.
Partizipation sollte möglichst viele Menschen erreichen. Auch wenn es mehr Ressourcen benötigt, sollten auch gezielt schwer zu erreichende Gruppen in den Prozess miteinbezogen werden. Das Ausnutzen von bestimmten Personengruppen zwecks PR-Zwecken ist als missbräuchlich zu werten.
9. Echte Partizipation ist keine Technokratie.
Partizipation ist menschlich. Technische und online Hilfsmittel können und sollen den partizipativen Prozess unterstützen, diesen jedoch nicht bestimmen. Digitale Innovationen dürfen den analogen menschlichen Kontakt nicht aus Zeit- und Geldgründen oder der reinen Technophilie zuliebe ersetzen.
10. Echte Partizipation ist mehr als Bürger*innen-Beteiligung.
Echte Partizipation ermöglicht allen Menschen, sich einzubringen – und das unabhängig vom Wahlrecht. Partizipation kann jedoch niemals Ersatz für Demokratie, demokratische Mitentscheidung oder eine Reform des Wahlrechts sein und darf nicht als Ersatz dessen eingesetzt werden.
Weiterführende Links:
Die Methoden der STADTpsychologie: stadtpsychologie.at/die-methode-der-stadtpsychologie
STADTpsychologie Blogs zum Thema Partizipation: stadtpsychologie.at/tag/partizipativ
Richtlinien der Partizipation: © STADTpsychologie
Erstkonzept: STADTpsychologie & DIALOGPLUS
