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Das Lotsenviertel: Ein Ort in Ebbe

Kreischende Möwen, ruhige Straßen und ein feuchter, salziger Meereswind – Willkommen im Lotsenviertel! Ein Stadtteil, in welchem Geschichte, Gemeinschaft und Wandel aufeinandertreffen und warum dessen Erhalt manche Herausforderungen mit sich bringt.
Als Teil der Norddeutschen Hafenstadt Cuxhaven, liegt das historische Lotsenviertel an der Elbmündung zur Nordsee. Das Viertel blickt auf eine lange Geschichte zurück: Seine Gebäude wurden teils schon vor dem 15. Jahrhundert erbaut und an einigen der alten Häuser findet man eine Sonne, die früher darauf hinwies, dass in diesem Haus ein Kapitän wohnte.

Eine Stadtteildiagnose von Lotta Plath

Willkommen im Lotsenviertel!

Früher war das Lotsenviertel die Heimat der Lotsen. Diese mussten aufgrund ihrer Abrufbereitschaft nahe des Hafens wohnen, um fremde Schiffe in den Hafen zu manövrieren. Heutzutage hat es sich zu einem charmanten Wohn- und Einkaufsviertel entwickelt. Statt großer Geschäftsketten findet man hier kleine, individuelle Läden, die das Viertel mit Leben füllen. Verschiedene Cafés, Restaurants und Bars tragen zu dieser lebendigen Atmosphäre bei. Trotz des stetigen Wandels der Stadt und dem steigenden Tourismus hält der Charakter des Lotsenviertels stand – wie ein Anker in stürmischer See. Aber auch ein starker Anker muss sich immer wieder neu ausrichten, um nicht den Halt zu verlieren. So kämpft das Lotsenviertel derzeit mit Leerstand. Obwohl es ein Anlaufpunkt für Bewohnerinnen und Besucherinnen ist, ist es nicht leicht neue Ladenbetreiber*innen zu gewinnen, die sich langfristig hier ansiedeln möchten.

Lukratives Viertel – Warum dann Leerstand?

Bezüglich der leerstehenden Geschäfte sind verschiedene Gründe in Betracht zu ziehen. Zum einen gibt es starke Konkurrenz durch den Onlinehandel. Viele handgefertigte Produkte findet man günstiger auf Amazon – direkt nach Hause lieferbar. Händler:innen aus dem Viertel berichten in unseren Interviews, dass immer weniger Menschen Handarbeit und den persönlichen Handel schätzen würden. Zudem können die Händler*innen mit den Preisen der Onlineprodukte kaum mithalten.
Ein weiterer Grund für den Leerstand sind die hohen Mieten – häufig für Geschäfte mit großem Sanierungsrückstand. Die Bewohner:innen erzählen, dass in einigen Fällen die Vermietung der darüberliegenden Wohnungen bereits ausreichend zur Finanzierung der Gebäude beiträgt und dadurch kein unmittelbarer wirtschaftlicher Druck besteht die Geschäftsräume neu zu vermieten.

Ein Viertel lebt durch die, die es lieben

Trotz aller Herausforderungen lässt sich das Lotsenviertel nicht unterkriegen. Die Menschen tauschen sich aus, tun sich zusammen und bringen sich aktiv in die Entwicklung des Viertels ein. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Interessengemeinschaft. Als Zusammenschluss von engagierten Bewohner*innen und Gewerbebetreibenden, arbeitet die Interessengemeinschaft schon seit Jahren daran, dass Viertel lebendig und einladend zu gestalten. Es werden Straßenfeste, Märkte und Aktionen organisiert – und dadurch auch Menschen zusammengebracht.

Wie lebt es sich im Lotsenviertel?

Supermärkte, Cafés und Apotheken sind in nur kurzer Gehweite ereichbar. Auch andere Stadtteile, wie der Hafen oder die Innenstadt, sind nicht fern. Die Menschen wohnen und arbeiten gern hier und genießen die persönliche Atmosphäre des Viertels. Man kennt sich, grüßt sich und kommt schnell ins Gespräch – nicht nur untereinander, sondern auch mit Besucher*innen und Tourist*innen. Trotz der dieser Verbundenheit zum Viertel äußern die Bewohner*innen auch Sorge: der Leerstand werde immer mehr. Wenn dann neue Mieter*innen gefunden werden, handelt es sich meistens um Bürobesitzer*innen, die sich hinter blickdichten Fenstern abschotten. Statt individueller und lebendiger Schaufenster, prägen Nebelglas und grau das Straßenbild und nehmen dem Viertel ein Stück seines lebendigen und offenen Charmes.


Das Wesen des Lotsenviertel: Eine Seepocke

Wenn das Lotsenviertel ein Wesen wäre, dann wäre es, passend zur nautischen Thematik, eine Seepocke. Seepocken unterliegen einem ständigen Wellengang, das Lotsenviertel einem ständigen Wandel. Sie wachsen langsam, aber in beständigen Schritten und strahlen dabei eine gewisse Schönheit aus, die man oft erst beim genaueren Hinsehen erkennt. So wie eine Seepocke fest am Felsen haftet, so standhaft ist auch der Charakter des Viertels. Trotzdem verändert es sich mit der Zeit und muss sich Herausforderungen, wie dem Leerstand, stellen.
Beide sind vielleicht klein und obwohl sie auf den ersten Blick unscheinbar wirken, sind sie wichtiger Bestandteil des Ökosystems bzw. der Stadt Cuxhaven.


Weiterführende Links und Literatur
  • Mehr Informationen zum Lotsenviertel: https://www.lotsenviertel.de/
  • Mehr Informationen zur Methode des Empirischen Stadtspaziergangs (ESP) finden sich hier: https://stadtpsychologie.at/empirischer-spaziergang/
  • Ehmayer, C. (2014). Die Aktivierende Stadtdiagnose als eine besondere Form der Organisationsdiagnose: Ein umwelt- und gemeindepsychologischer Beitrag für eine nachhaltige Stadt- und Gemeindeentwicklung. Hamburg: disserta

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